Ganz neu bzw. vollständig überarbeitet auf dieser Plattform sind die “Fragen und Antworten”. Wir freuen uns, dass wir die Autorinnen Luise Metzler und Katrin Keita dafür gewinnen konnten, uns Ihren Textbestand des Buches “Fragen und Antworten zur Bibel in gerechter Sprache” zur Verfügung zu stellen, der inzwischen leider vergriffen ist. Diese ausgewählten Texte informieren Sie jetzt umfassend und sehr präzise über die wichtigsten Fragen und Antworten zur Bibel. Ein wunderbarer Schnelleinstieg in das komplexte Thema.

Sämtliche nicht namentlich gekennzeichneten Beiträge in dieser Kategorie „Fragen und Antworten“ wurden von © Katrin Keita und © Luise Metzler erstellt. Wir bitten bei Nutzung der Texte auf das Copyright zu achten.

Die Bibel in gerechter Sprache ist im Herbst 2006 erschienen. Nie­mand hatte erwartet, dass sie ein solch großes Echo erzeugen würde, ja dass sie bis in die Feuilletons der großen Tages- und Wochenzei­tungen hinein diskutiert werden würde. Sie wurde so oft gekauft, dass schon nach wenigen Wochen die zweite und dritte Aufl age er­scheinen mussten. Inzwischen ist die vierte Aufl age in Vorbereitung. Das Wichtigste aber ist: Die Bibel ist wieder im Gespräch. Viele setzen sich mit ihr auseinander und entdecken neue Aspekte. Das hat diese neue Übersetzung bewirkt. Bibellesen ist wieder spannend gewor­den, wie es die zahlreichen Fragen und Reaktionen zeigen, die die Mitwirkenden am Projekt »Bibel in gerechter Sprache« erreichen. Dieses Projekt ist von Beginn an auf Dialog angelegt gewesen. Des­halb ist es allen Mitwirkenden an der Bibel in gerechter Sprache ein Anliegen, die Rückmeldungen und Anfragen der Leserinnen und Leser aufzunehmen. Dies geschah und geschieht auf verschiedene Weise: Auf etliche Fragen wird auf der Homepage www-bibel-in­gerechter-sprache.de eingegangen. Bei vielen Veranstaltungen ha­ben Mitwirkende an der Bibel in gerechter Sprache die Übersetzun­gen erläutert. Einige begleitende Bücher sind erschienen.

Doch es fehlte ein Buch, das in allgemein verständlicher Sprache sowohl die Hintergründe des Projekts umfassend erklärt als auch Fragen zu ein­zelnen Texten beantwortet. Das vorliegende Buch will diese Lücke schließen. Es beansprucht keine Vollständigkeit. Wir Autorinnen hoffen aber, dass wir die dringlichsten Fragen haben beantworten können.
Über hundert Fragen kamen zusammen. Sie sind durchnummeriert und jeweils für sich abgeschlossen. Leserinnen und Leser müssen das Buch nicht unbedingt von vorne bis hinten lesen. Sie können bei jeder Frage einsteigen. Damit es übersichtlich ist, haben wir die Fra­gen in vier große Kapitel geordnet: Im ersten Kapitel Werden und Wachsen geht es um die Entstehung der Bibel in gerechter Sprache. Das zweite Kapitel informiert über das besondere Profi l der neuen Übersetzung. Das dritte Kapitel erläutert die Verwendung der Bibel in gerechter Sprache. Der vierte und letzte Teil beantwortet Fragen zu konkreten Bibelstellen. Im zweiten und vierten Kapitel Profi l und Bibelstellen gibt es wei­tere Unterteilungen: Das Kapitel Profi l behandelt zunächst Allge­meine Fragen. Anschließend werden zentrale Aspekte der Bibelüber­setzung angesprochen: Frauen werden sichtbar gemacht (Soziale Gerechtigkeit – auch für Frauen). Erkenntnisse aus dem christlich­jüdischen Dialog werden für die Übersetzung fruchtbar gemacht (Gerechtigkeit gegenüber dem Judentum). Der Umgang der Bibel in gerechter Sprache mit dem Gottesnamen wird erklärt (Gottes Name werde geheiligt). Fragen zu Jesus Christus und zum Neuen Testament sind im letzten Abschnitt des zweiten Kapitels gesammelt (Jesus Christus und das Neue Testament). Das Kapitel Bibelstellen ist nach den Kriterien geordnet, die für die Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache maßgebend waren: Dem Text gerecht werden, Jüdinnen und Juden gerecht werden, Frauen und Männern gerecht werden und Sozialer Verantwortung gerecht werden. Die Bibel-texte, zu denen hier Fragen beantwortet werden, sind entsprechend der Reihenfolge der Bücher in der Bibel in gerechter Sprache sor­tiert. Ein Register der Bibelstellen am Ende des Buches hilft, Fragen und Antworten zu weiteren Bibelstellen leicht zu fi nden. Wenn Antwort-Texte andere Fragen und Antworten berühren, gibt es Querverweise. Sie sind in Klammern gesetzt und mit einem Pfeil versehen (z. B. 
 54). Für Leserinnen und Leser, die sich über die Antwort-Texte hinaus weiter informieren möchten, geben wir am Schluss der einzelnen Texte Hinweise zum Weiterlesen. Die Kurztitel, die dort stehen, wer­den im Verzeichnis weiterführender Literatur am Schluss des Buches aufgeschlüsselt.
So wie das Projekt »Bibel in gerechter Sprache« von Beginn an mög­lichst viele Menschen in die Auseinandersetzung mit den biblischen Texten einbezogen hat, so haben auch wir dieses Buch nicht alleine »im stillen Kämmerlein« geschrieben. Wir konnten auf umfangreiche Vorarbeiten zurückgreifen: Insbesondere die Texte auf der Home­page www.bibel-in-gerechter-sprache.de waren eine wichtige Quelle für uns. Verfasst wurden sie von verschiedenen Personen aus dem Herausgabe- und Übersetzungskreis. Häufig konnten wir die dorti­gen Erläuterungen zur Grundlage unserer Antwort-Texte machen. Doch auch die Bibel in gerechter Sprache selbst, vor allem die aus­führliche Einleitung und das Glossar, bietet Erklärungen zu vielen Fragen. Viele Übersetzerinnen und Übersetzer und Mitglieder des Herausgabekreises haben uns beraten und uns ihre Übersetzungs­entscheidungen erläutert. Ihnen sei herzlich gedankt. Es war uns ein Anliegen, so zu schreiben, dass Jedefrau und Jedermann auch ohne theologische Ausbildung die Texte verstehen kann. Darum haben wir sie in einer kleinen Gegenlesegruppe erprobt. Dörte Melzer, Anja Lemmermöhle und Stefan Hillienhoff haben die Entwürfe gelesen – eine wertvolle Hilfe. Ihre Kritik und Anregungen sind direkt in unsere Texte eingeflossen. Auch ihnen sei herzlich gedankt!
Nicht zuletzt danken wir allen Leserinnen und Lesern der Bibel in gerechter Sprache, die in den vergangenen zweieinhalb Jahren nach­gefragt, angefragt, hinterfragt haben. Ohne ihr kritisches und begeis­tertes Mitdenken gäbe es dieses Buch nicht. Bitte machen Sie weiter! Fragen Sie weiter: in Ihrem Freundeskreis, Ihren Kirchengemeinden, in der Schule, wo auch immer Sie mit der Bibel in gerechter Sprache in Berührung kommen! Und fragen Sie auch uns, wenn Sie möchten. Wir laden Sie ausdrücklich dazu ein und freuen uns über weitere Fragen, über Ihre Rückmeldungen oder auch über Ihre Aha-Erlebnisse, die Sie uns unter gerne schicken können.

Katrin Keita und Luise Metzler

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Ruf nach einer Neuübersetzung der Bibel immer lauter. Er kam aus drei Richtungen: von der Befreiungstheologie, der Bewegung für die Gleichberech­tigung von Frauen und dem christlich-jüdischen Dialog. Die Theo­logie der Befreiung ist in den 60er und 70er Jahren in Lateinamerika entstanden. Die Armen wurden in den Militärdiktaturen immer stär­ker unterdrückt. Sie begannen, biblische Texte auf ihre reale Situa­tion zu beziehen und entdeckten Gerechtigkeit als ein zentrales Thema in der Bibel. Daraus schöpften sie die Kraft, sich der Unter­drückung zu widersetzen. Etwa zur gleichen Zeit begannen auch Frauen in Europa und in den USA, die Bibel verstärkt aus ihrer Sicht zu lesen. Sie beschäftigten sich mit biblischen Frauengestalten und ärgerten sich, dass in den meisten Texten eine einseitig männliche Perspektive vorherrschte bzw. dass Übersetzungen diese Sicht sug­gerierten. Der christlich-jüdische Dia log wurde aufgenommen, nachdem die Kirchen in Deutschland ihre Mitverantwortung für die Ermordung der europäischen Jüdinnen und Juden eingeräumt ha­ben. Doch erst ab Mitte der 70er Jahre setzten sich vermehrt Chris­tinnen und Christen mit der Bedeutung des Holocausts für die christ­liche Theologie auseinander. Auf dieser Grundlage wurde es möglich, das Verhältnis zwischen Christentum und Judentum theologisch zu überdenken. In den USA veröffentlichte der Nationale Rat der Kirchen Anfang der 80er Jahre erstmals die dort im Gottesdienst verwendeten Texte in so genannter inklusiver Sprache. Die ersten Schritte zu einer deut­schen Bibelübersetzung in gerechter Sprache wurden im Umfeld der Deutschen Evangelischen Kirchentage gemacht. Ab 1987 befassten sich Frauen aus der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland mit der Frage: Wie muss eine gottesdienstliche Sprache aussehen, die Frauen nicht diskriminiert? Sie überarbeiteten die Lutherüberset­zung und die Texte der Guten Nachricht, indem sie z. B. die weit ver­breitete Umschreibung des Gottesnamens mit »HERR« durch »GOTT« ersetzten. Einige ihrer Erfahrungen mit einer frauengerechten Sprache wurden ab 1991 von der Gruppe aufgenommen, die die biblischen Texte für den Kirchentag neu übersetzte. Dieser Arbeitsgruppe gehörten kon­tinuierlich Frank Crüsemann und Jürgen Ebach an. Viele weitere Übersetzer und Übersetzerinnen der Bibel in gerechter Sprache ar­beiteten zeitweise mit, z. B. Luise Schottroff, Claudia Janssen, Renate Jost, Klaus Wengst, Brigitte Kahl. Ab diesem Zeitpunkt wurden diese Übersetzungen in die Programmhefte der Kirchentage aufgenom­men. Sie standen neben Übersetzungen der revidierten Lutherbibel 1984. Zeitweise wurden auch Texte der Einheitsübersetzung abge­druckt. Auch die Reihe »der gottesdienst. Liturgische Texte in gerechter Sprache«, die von Erhard Domay und Hanne Köhler zwischen 1997 und 2001 herausgegeben worden ist, war ein weiterer Schritt hin zu einer vollständigen Neuübersetzung. Der 4. Band dieser Reihe: »Die Lesungen« enthält alle biblischen Texte für evangelische Gottes­dienste in neuer Übersetzung. Diese Texte sowie die Kirchentagsübersetzungen sind Vorläufer der Bibel in gerechter Sprache. Viele Menschen innerhalb und außerhalb der Gemeinden lasen die neuen Übersetzungen und arbeiteten mit ihnen. Schon bald reichten ihnen diese Teilstücke der Bibel nicht mehr. Sie drängten auf eine neue Übersetzung der gesamten Bibel in gerechte Sprache.

Katrin Keita und Luise Metzler

Der Herausgabekreis hat von Anfang an empfohlen, die Bibel in gerechter Sprache neben anderen Bibelübersetzungen zu lesen. Auf diese Weise können sich die verschiedenen Übersetzungen berei­chern, und die Vielfalt und die Mehrdeutigkeit der Ausgangstexte werden transparent. Es war niemals Ziel der Bibel in gerechter Spra­che, die Lutherbibel abzulösen. Die Mitwirkenden des Projekts haben großen Respekt vor der Übersetzungsleistung Martin Luthers wie auch vor den Leistungen anderer Bibelübersetzerinnen und Bibel­übersetzer.
Die eigentliche Übersetzungsarbeit der Bibel in gerechter Sprache geschah weder in Anlehnung noch in Abgrenzung vom Luther-Text. Wie für die Luther-Übersetzung gilt auch für die Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache Luthers Forderung sola scriptura unein­geschränkt. Sola scriptura ist lateinisch und bedeutet »allein die Schrift«. Was verbirgt sich hinter diesem Schlagwort? Es geht um den immer wieder aufgetretenen Konflikt, dass die Kirche in wichtigen Fragen anderes lehrt, als es vom biblischen Text her einsichtig ist. In diesem Fall gilt aus protestantischer Sicht das Prinzip sola scriptura. Es bedeutet: Das aus dem biblischen Text Erkannte hat Vorrang vor dem aus der Lehre Erkannten. Dieses Prinzip sollte auch für Überset­zungen gelten. Grundlage hat allein (sola) die Schrift (scriptura) zu sein, nämlich die althebräischen, aramäischen oder altgriechischen Texte ( 8). Damit sie auch von Menschen verstanden werden, die diese Sprachen nicht verstehen, ist es nötig, sie in unsere Zeit und in unsere Sprache zu übersetzen ( 12). Dennoch wird die Bibel in gerechter Sprache oft mit Blick auf die Luther-Revision von 1984 kritisiert. Manche Kritik liest sich so, als habe Paulus deutsch gesprochen, als sei die deutsche Übersetzung der ursprüngliche Text. Eine solche Herangehensweise greift zu kurz. Sowohl die Lutherübersetzung als auch die Bibel in gerechter Spra­che gehen aus von den hebräischen und griechischen Ausgangstex­ten. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass die aktuelle Revision der Lutherbibel von 1984 keinesfalls mit der ursprünglichen Luther-Übersetzung identisch ist. Sie ist das Ergebnis eines langen Überarbeitungs- und Anpassungsprozesses. Bezüglich einiger Texte ist die Bibel in gerechter Sprache näher an der ursprünglichen Lu­ther-Übersetzung von 1545 als die revidierte Luther-Bibel von 1984 (74). Dazu als Beispiel Gen 30,8:

Luther 1545
Da sprach Rahel: Gott hat es gewand mit  
mir vnd meiner Schwester.  

Luther 1984 
Da sprach Rahel: Über alle Maßen habe  
ich gekämpft mit meiner Schwester.  

Bibel in gerechter Sprache
Und Rahel sprach: Kämpfe Gottes habe  
ich gekämpft mit meiner Schwester.  

Das hebräische Wort elohim, das Luther 1545 zutreffend mit »Gott« übersetzt hatte, wird in der Revision von 1984 nicht mit »Gott« wie­dergegeben. Die Bibel in gerechter Sprache nimmt den Gottesbezug des hebräischen Textes hier wieder auf.

Ein weiteres Beispiel ist Ps 16,9:

Luther 1545 
Darumb frewet sich mein Hertz  
vnd meine Ehre ist frölich.  

Luther 1984
Darum freut sich mein Herz  
und meine Seele ist fröhlich.  

Bibel in gerechter Sprache 
Darum freut sich mein Herz.  
Meine Würde tanzt!  

Das hebräische kavod kann mit »Ehre«, »Würde«, »Gewicht« etc. über­setzt werden, nicht aber mit »Seele«. Denn »Seele« entspräche das hebräische nefesch. (Anmerkung zur Übersetzung »frö(h)lich«/»tanzt«: Während Luther mit »frö(h)lich« die Emotion, die im hebräischen Wort steckt, zum Ausdruck bringt, betont die Bibel in gerechter Spra­che mit »tanzt« die körperliche Dimension. Im Hebräischen steht ein Verb mit der Grundbedeutung »sich kreisförmig bewegen«.)

ZUM WEITERLESEN:

Katrin Keita und Luise Metzler

Als deutsche Bibelübersetzung ist 1997 die Gute Nachricht Bibel er­schienen. Die zwei Theologinnen Monika Fander und Renate Jost haben die Übersetzer besonders im Hinblick auf frauengerechte Sprache beraten, durften aber nicht entscheiden. Auf dieser Basis flossen ihre Anregungen in die Übersetzung ein ( 6).
Doch die Überlegungen und Gerechtigkeitskriterien, die der Bibel in gerechter Sprache zugrunde liegen, sind nicht auf den deutschen Sprachraum beschränkt. 1987 hat beispielsweise die 24. General­konferenz der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (UNESCO) die Forderung nach einer nicht-sexisti­schen Sprache erhoben. Daran anknüpfend hat die Deutsche UNESCO-Kommission 1993 Richtlinien für einen nicht-sexistischen Sprachgebrauch entwickelt. Die entsprechenden UNESCO-Richt­linien für das Englische (Guide to Non-Sexist Language) und das Französische (Pour un Langage Non-Sexiste) wurden bereits 1987 veröffentlicht. Zahlreiche christliche Kirchen und jüdische Gruppen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten um einen veränderten Sprachge­brauch bemüht. Bisher greifen nur einige englischsprachige Bibel­übersetzungen ähnliche Anliegen wie die Bibel in gerechter Sprache auf, z. B.:

  • New Revised Standard Version Bible THE HOLY BIBLE containing the Old and New Testaments with the Apocryphal/Deuterocano­nical Books, Division of Christian Education of the National Coun­cil of Churches of Christ in the United States of America (Hg.), Nashville Tennessee 1990

 

  • The New Testament and Psalms. An Inclusive Version, Gold, Victor Roland/Hoyt, Thomas L./Ringe, Sharon H./Thistlethwaite, Susan Brooks/Throckmorton, Burton H./Withers, Barbara A. (Hg.), Oxford University Press 1995

 

  • The Inclusive Bible: The First Egalitarian Translation, Priests for Equality, Sheed & Ward, 2007, ISBN 9781580512145

 

  • The Contemporary Torah: A Gender-Sensitive Adaptation of the JPS Translation, Philadelphia, Jewish Publication Society, 2006

ZUM WEITERLESEN:

  • Breitmaier, Isa/Sutter Rehmann, Luiza, Beispiele englischer Übersetzungen, in: Isa Breitmaier/Luiza Sutter Rehmann (Hg.), Gerechtigkeit lernen. Lehren und  lernen mit der Bibel in gerechter Sprache Band 1, Gütersloh 2008, S.31-35.

Katrin Keita und Luise Metzler

 

Die Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache ist ein Projekt, das von unten, von Bibelleserinnen und Bibellesern angestoßen und getragen worden ist. Keine Kirchenleitung, keine Stiftung und kein Bibelwerk haben den Auftrag dazu erteilt. Weil es ein vergleichba­res Projekt noch nicht gegeben hatte, musste jeder Schritt dieser Arbeit – von den Grundsätzen, der Organisationsform, der Arbeits­weise, der Öffentlichkeitsarbeit, der Kalkulation bis hin zur Klärung der Verantwortlichkeiten – neu entwickelt werden. Die ersten Vorüberlegungen gab es auf einer Tagung in Kassel 1998. Dort wurde diskutiert, ob die vorhandenen Bibeln geschlechterge­recht, sozial gerecht und gerecht gegenüber Jüdinnen und Juden übersetzt sind. Die Diskussionen führten dazu, dass 2001 in der Reihe »der gottesdienst. Liturgische Texte in gerechter Sprache« Band 4: »Die Lesungen« (
 1) erschien. Im gleichen Jahr fand Ende Oktober in der Evangelischen Akademie Arnoldshain eine Tagung zu inklusi­ver Sprache statt. Am Reformationstag gründete sich dort ein Kreis von Theologinnen und Theologen, die planten, eine neue Bibelüber­setzung herauszugeben. 52 Übersetzerinnen und Übersetzer wurden gewonnen, ebenso ein 15-köpfiger Beirat, der das Projekt von Beginn an begleitete, förderte und unterstützte. Herausgabekreis, Beirat, Übersetzerinnen und Übersetzer und die Spendenbeauftragte haben von Anfang an ehrenamtlich gearbeitet (6). Wichtig war die Bereitschaft des Gütersloher Verlagshauses, ein Ri­siko einzugehen, längst bevor ein wirtschaftlicher Erfolg absehbar war. Niemand konnte vorhersagen, ob der Plan gelingen würde, diese neue Übersetzung herauszubringen, und ob sie sich verkaufen würde. Dennoch war das Gütersloher Verlagshaus bereit, die Entste­hung von Anfang an zu begleiten. Ab 2001 hat der Verlag die Kosten, die durch Tagungen entstanden sind, vorfinanziert, bis in den Jahren 2004–2006 genug Spenden eingegangen waren. Ohne eine Stelle zur Koordination des Projekts wäre es aber nicht möglich gewesen, die Bibelübersetzung zu realisieren. Die Evange­lische Kirche in Hessen und Nassau hat sich von der Idee einer neuen Bibelübersetzung überzeugen lassen. Sie richtete für fünf Jahre eine Projektstelle ein. Der Beschluss der Kirchenleitung dazu lautet: »Die Bibel ins Gespräch zu bringen und für eine neue Generation attrak­tiver und zugänglicher zu machen, bleibt eine genuin kirchliche Auf­gabe, und ein kirchlicher Kontext ist für dieses Projekt mithin unver­zichtbar.« Die Projektstelle hatte bis zum 31. Oktober 2006 Pfarrerin Hanne Köhler inne.

Katrin Keita und Luise Metzler

Insgesamt 52 Übersetzerinnen und Übersetzer haben sich für die Bibel engagiert. Viele von ihnen hatten schon am Buch »Die Lesun­gen« (1) mitgearbeitet. Alle verpflichteten sich, die Übersetzungs­kriterien Geschlechtergerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit und Ge­rechtigkeit gegenüber dem Judentum zu berücksichtigen. Die Übersetzungsarbeit wurde begleitet und vernetzt durch Tagungen, Arbeitsgruppen, Praxiserprobung und einen Prozess des Gegen­lesens. Viele Grundsatzentscheidungen wurden auf Tagungen von den Übersetzenden diskutiert und beschlossen. Dies betraf u. a. die Wie­dergabe des Gottesnamens, die Benennung der biblischen Bücher und die Auswahl der Glossarbegriffe. Die Übersetzenden stellten außerdem ihre Übersetzungen in Arbeitsgruppen zur Diskussion. In der Praxiserprobung wurden Rückmeldungen von interessierten Einzelpersonen und Gruppen gesammelt, die die vorläufi gen Über­setzungen ausprobiert haben (4). Die fertigen Übersetzungen wur­den von jeweils zwei anderen Übersetzenden gegengelesen und auf mögliche Fehler hin überprüft. Anschließend wurde die Übersetzung noch einmal von Fachkräften durchgesehen. Sie kontrollierten, ob versehentlich ein Wort nicht übersetzt worden war, ob die Glossar­verweise und Bibelstellenangaben richtig angegeben waren etc. Danach wurden die Texte noch einmal von zwei Mitgliedern des Herausgabekreises gelesen, bis endlich ein fertiges Manuskript vor­lag.

Katrin Keita und Luise Metzler

Wichtiges Ziel des Projekts war es, die hebräischen und griechischen Texte in gutes, allgemein verständliches Deutsch zu übersetzen. Da­ran sollten möglichst viele Menschen mitwirken. Um diesen Zielen möglichst nahe zu kommen, wurde die so genannte Praxiserprobung erfunden. Mehr als 300 Gruppen, Kirchengemeinden und Einzelper­sonen verschiedener Konfessionen und Herkunft wirkten daran mit.
Ihnen wurden bevorzugt solche Texte zugesandt, bei deren Über­setzung es besondere Fragen gab. Sie verwendeten sie in Gemein­degruppen, Bibelkreisen, Unterricht, Gottesdienst oder als eigene Lektüre. Ihre Kritik und Anregungen fl ossen in die weiteren Über­arbeitungen ein. Ein Beispiel: Die Übersetzerin des Markusevangeliums, Irene Dan­nemann, berichtete, dass eine Gruppe von behinderten Menschen heftig Einspruch eingelegt hat, weil sie mehrmals übersetzt hatte, dass Jesus »Mitleid« gehabt habe. Mitleid sei aber eine Haltung von oben herab, unter der sie oft genug leiden würden, lautete die Rück­meldung der Männer und Frauen mit Behinderungen. Irene Danne­mann hatte den Ausdruck selbst ganz anders gemeint, ließ sich aber überzeugen und wählte bei der Übersetzung andere Formulierun­gen wie: »Weil ihn das anrührte« (Mk 141) oder »das ging ihm nahe« (Mk 634).

Katrin Keita und Luise Metzler

Das Projekt ist ökumenisch angelegt, sowohl was die Beteiligung von Übersetzenden als auch was die Verwendbarkeit der Bibel betriff t. Dass dennoch die Mehrzahl der 52 Übersetzenden einen protestan­tischen Hintergrund hat, liegt vor allem daran, dass die Wurzeln des Projekts in den Übersetzungen für die Deutschen Evangelischen Kirchentage (1) sowie dem Band mit Lesungen für evangelische Gottesdienste ( 1+2) liegen. Es sind aber auch katholische Theologen und Theologinnen an den Übersetzungen, im Herausgabekreis und im Beirat beteiligt. Vom Umfang her ist die Bibel in gerechter Sprache ökumenisch verwendbar, denn sie umfasst auch die so genannten Deuterokanonischen Bücher oder Apokryphen (49), die in der römisch-katholischen Kirche zur Heiligen Schrift gehören.

Katrin Keita und Luise Metzler

Alle 52 Übersetzenden sind ausgewiesene Bibelwissenschaftlerinnen und Bibelwissenschaftler. Sie kommen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland. Alle sprechen Deutsch als Muttersprache. Sie stüt­zen ihre Übersetzungen auf Forschungsarbeiten über die biblischen Bücher, die sie jeweils übersetzen. Sowohl evangelische als auch römisch-katholische Theologinnen und Theologen sind unter ihnen. Viele haben Lehrstühle an Hochschulen in der Schweiz, Deutschland, USA, Belgien und den Niederlanden. Dass unter den Übersetzenden etwa 80 % Frauen sind, ist eine Besonderheit. An den vorhandenen deutschsprachigen Bibelübersetzungen haben bislang keine Frauen mit übersetzt. Bei der 1997 erschienenen »Guten Nachricht« haben die Theologinnen Monika Fander und Renate Jost intensiv beraten, aber nicht selbst übersetzt. Auch die 2007 erschienene neue Zürcher Bibel wurde ausschließlich von Männern übersetzt. Zwar gehörten zu den Beratungskommissionen drei Frauen: eine Theologin, eine Germanistin und eine Altphilologin. Doch ähnlich wie bei der Guten Nachricht waren sie an der Diskussion der Übersetzungsvarianten beteiligt, ohne selbst mit zu übersetzen. Der Herausgabekreis der Bibel in gerechter Sprache umfasste an­fangs zehn, mittlerweile dreizehn Theologinnen und Theologen, von denen viele gleichzeitig mit übersetzt haben. Zum Beirat gehörten 15 Personen. Peter Steinacker, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, hatte den Vorsitz inne, Heidi Rosen­stock war Geschäftsführerin. Als Spendenbeauftragte wurde die Theologin Luise Metzler gewonnen (9). Alle Übersetzenden, der Herausgabekreis, der Beirat und die Spendenbeauftragte arbeiteten ehrenamtlich. Lediglich Hanne Köhler war hauptamtlich von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau für fünf Jahre mit der Projektstelle betraut. Gleichzeitig ist Hanne Köhler in den Kreis der Ehrenamtlichen einzureihen, denn sie hat über ihre Vollzeitstelle hinaus viel Kraft und Zeit in das Projekt investiert.

Katrin Keita und Luise Metzler

Die Bibelübersetzung in gerechter Sprache ist von der Konzeption her eine christliche Übersetzung, die jedoch die Erkenntnisse aus dem christlich-jüdischen Dialog aufnimmt. Jüdische Übersetzerin­nen und Übersetzer sind vom Herausgabekreis nicht angefragt wor­den. Denn es kann nicht Aufgabe von Jüdinnen und Juden sein, antijüdische Tendenzen, wie es sie in bestehenden christlichen Bibel­übersetzungen gibt, zu korrigieren. Dieser Aufgabe müssen sich christliche Theologinnen und Theologen selbst stellen.
In den vergangenen Jahrzehnten ist besonders für das Neue Testa­ment aufgedeckt worden, dass dieser Teil der Bibel oft antijüdisch und damit verzerrt gelesen und übersetzt worden ist. Es wird nicht ernst genommen, dass Jesus ein Jude war und sich daher verhalten und argumentiert hat wie ein Jude. Solches offen zu legen wird oft als Angriff auf die christliche Identität erfahren und heftig zurück­gewiesen. Viele Christinnen und Christen glauben leider immer noch, das Besondere an Jesus sei, dass er das Judentum abgelehnt und eine neue Lehre verkündigt habe. In der Bibel in gerechter Sprache ist dagegen im Wortlaut zu entdecken, dass Jesus nicht nur jüdisch gelehrt hat, sondern beispielsweise auch wie ein from­mer Jude gekleidet war: Die Frau, die hoffte, durch Jesus von ihren Blutungen geheilt zu werden, berührte den Schaufaden seines Mantels und nicht den Saum seines Gewandes (Mt 9,20) (78). Im Beirat hat Micha Brumlik das Projekt von jüdischer Seite begleitet und beraten. Viele Mitwirkende sind aktiv am christlich-jüdischen Dialog beteiligt. Während der Entstehungszeit haben sie in ihren Wir­kungskreisen auch die Übersetzungen der Bibel in gerechter Sprache bedacht.

 

Katrin Keita und Luise Metzler

Die biblischen Texte sind aus den Sprachen übersetzt worden, in denen sie – soweit wir das heute wissen – ursprünglich formuliert worden sind.

  • Das Alte Testament bzw. die Hebräische Bibel sind aus dem Althebräischen übersetzt worden. Ausnahmen sind die Texte Daniel 2,4–7,28 , Esra 4,8–6,18 und 7,12–26 sowie Jeremia 10,11, die in aramäischer Sprache überliefert worden sind.
  • Bei den zwischentestamentlichen Texten, auch Apokryphen oder Deuterokanonische Schriften genannt (49), gab es zum Teil keine vollständig erhaltenen hebräischen Fassungen. Deswegen wurde aus den griechischen Überlieferungen übersetzt. In den Einleitungen dieser Bücher wird dieses jeweils off en gelegt.
  • Der Übersetzung des Neuen Testaments liegen altgriechische Texte zugrunde. Im Einzelnen sind Grundlagen der Übersetzungen die derzeit an­erkannten wissenschaftlichen Textausgaben. Ihnen wurde bis auf wenige Ausnahmen gefolgt, die in den Einleitungen der Bücher begründet werden:
  • für die Hebräische Bibel: Biblia Hebraica Stuttgartensia, heraus­gegeben von K. Elliger und W. Rudolph, Stuttgart 1997
  • für die Deuterokanonischen Texte: Editionsreihe des Göttinger Septuaginta-Unternehmens: Septuaginta Vetus Testamentum Graecum auctoritate Academiae Scientiarum Gottingensis editum, erschienen im Verlag von Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
  • für das Neue Testament: Nestle-Aland, Novum Testamentum Graece, 27. Auflage

Katrin Keita und Luise Metzler

Die Finanzierung des Projekts stand auf vier Säulen:

  1. Die Projektstelle, die die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau für fünf Jahre eingerichtet hat, um den Übersetzungsprozess zu or­ganisieren. Diese Stelle hatte bis zum Oktober 2006 Pfarrerin Hanne Köhler inne.
  2. Die ehrenamtliche Arbeit aller anderen Mitwirkenden.
  3. Das Engagement des Gütersloher Verlagshauses ( 2).
  4. Die Spen­den, die nötig waren, um die Unabhängigkeit des Projekts zu ge­währleisten und den Verkaufspreis der Bibel möglichst gering zu halten. Kosten, die durch Spenden gedeckt werden mussten, entstanden durch Tagungen und Kleingruppentreff en, bei denen Grundsatzfragen und Übersetzungsentscheidungen diskutiert worden sind. Aufgabe der Spendenbeauftragten Luise Metzler war es, dafür um Spenden zu bitten. In vielen Telefonaten, Vorträgen, Workshops und Seminaren in allen deutschsprachigen Ländern informierte sie zwi­schen 2004 und 2006 über die Anliegen der Bibel in gerechter Spra­che. Insgesamt kamen über 400.000 Euro an Spenden zusammen. In diesem hohen Spendenaufkommen und in der Bereitschaft, im Anhang der Bibel mit Namen genannt zu werden, spiegelt sich die große Unterstützung vieler Menschen für die Bibel in gerechter Spra­che wider. Es gab Spenden aus Österreich, Schweiz, Deutschland, aber auch aus den USA, Korea, Brasilien und Italien. Die Spenderin­nen und Spender sind römisch-katholisch, altkatholisch, evangelisch, mennonitisch, methodistisch und baptistisch. Neben vielen kleinen und großen Einzelspenden wurden Patenschaften für die Überset­zung eines bestimmten Buches übernommen, u. a. von Bibelgesell­schaften, christlich-jüdischen Lehrhäusern, Missionsgesellschaften, Frauenverbänden, Frauenreferaten, Männergruppen, Lesben- und Schwulenorganisationen, Kirchengemeinden, Kirchenkreisen, Bi­schöfinnen und Bischöfen, Dekaninnen und Superintendenten, Landeskirchen und von vielen Einzelpersonen.

Katrin Keita und Luise Metzler

 

Jede Übersetzung ist eine Übertragung, denn sie überträgt einen Text von einer Sprache in eine andere. Die einzig richtige, wort­wörtliche Übersetzung gibt es nicht. Wörter haben eine Bedeu­tungsbreite. Wer einen Text übersetzt, steht zunächst vor der Frage: Welche Bedeutung ist hier gemeint? Dieser Sinn ist so gut wie mög­lich auf Deutsch wiederzugeben. Dazu als Beispiel das hebräische Wort ruach. Es kann u. a. mit »Wind«/»Sturm«/»Kraft«/»Energie«/ »Geist kraft«/»Charisma«/»Schnauben«/»Hauch«/»Geist«/»Gemüt«/ »Luftzug« übersetzt werden. In Gen 41,38 steht ruach. Josef hat ge­raten, Kornvorräte anzulegen, und der Pharao lobt ihn als einen Mann, in dem Gottes ruach ist. Der Textzusammenhang zeigt, dass »Gottes Wind« oder »Gottes Sturm« kaum passen. Plausibel er­scheint dagegen eine Übersetzung mit »Gottes Geistkraft« oder »Gottes Geist«. In Hiob 1,19 kommt große ruach von der Wüste her und lässt ein Haus zusammenstürzen. Hier ist »großer Sturm« eine geeignete Wiedergabe. Andere Fragen stellen sich, wenn das Original bildhaft spricht. Das englische »It is raining cats and dogs« kann nur angemessen über­setzt werden mit: »Es regnet Bindfäden« oder »Es regnet in Strömen«. Antike Texte bieten oft besondere Probleme, weil die im Original verwendeten Bilder heute vielfach nicht mehr verstanden werden. Im Buch Amos werden beispielsweise die reichen Frauen von Sama­ria abschätzig als »Kühe von Baschan« bezeichnet (Am 4,1). Baschan war in der damaligen Zeit eine fruchtbare Hochebene im Norden des Landes, die bekannt war für ihre gut genährten Kühe. Mit diesem Bild soll unterstrichen werden, wie verwöhnt die samarischen Frauen waren. Ein anderes Beispiel aus dem Buch Amos ist das Wort »Zinn«, das in Am 7,7 ( 93) verwendet wird: Der Prophet schaut in einer Vision, dass Gott »Zinn« in ihrer Hand hält. Da im antiken Israel Zinn zur Waffenherstellung diente, ist dieser Vers als Anspielung auf einen bevorstehenden Krieg zu lesen. Hier gerät eine Übersetzung an ihre Grenzen. Die Bibel in gerechter Sprache hat bei den beiden Amos-Texten deshalb Fußnoten gesetzt. Zu übersetzen ist und bleibt eine Gratwanderung. Jürgen Ebach ent­deckt »Übersetzen« als »Über-setzen« von einer Seite auf die andere: Wer hinüber will, muss den Standpunkt wechseln. Er mahnt: »Üb ersetzen!«, denn jede Übersetzung ist eine Ersetz-Übung. Selten kommt sie dem Original qualitativ gleich. Das gilt für die Lutherbibel wie für jede Übersetzung, auch für die Bibel in gerechter Sprache. Auch Luther wusste um diese Probleme. Er schreibt 1528 an Wen­zeslaus Link: »Ein wie großes und beschwerliches Werk ist es, die hebräischen Schriftsteller zu zwingen, deutsch zu reden. Sie sträuben sich, wollen ihre hebräische Art nicht verlassen und sich der deut­schen Barbarei nicht fügen. Das ist so, als ob eine Nachtigall gezwun­gen würde, ihre überaus wohllautende Weise aufzugeben und den Kuckuck nachzuahmen, dessen eintönige Stimme sie verabscheut.« Luthers Grundsatz war: Wer übersetzt, darf nicht am Wort kleben, sondern muss den Sinn wiedergeben. Darum lehnte er wörtliche Wiedergaben ab, die dem Geist der Zielsprache widersprachen. Statt­dessen wollte er »der Mutter im Haus, den Kindern auf den Gassen, dem gemeinen Mann auf der Straße aufs Maul schauen«. In seinem »Sendbrief vom Dolmetschen« (1530) erklärt er seine Übersetzungs­kriterien mit vielen Beispielen. Die Mitwirkenden an der Bibel in ge­rechter Sprache legen ihre Übersetzungskriterien in der Einleitung der Bibel in gerechter Sprache off en. Die Probleme beim Übersetzen sind nicht neu. Sie sind bereits Thema in der Bibel selbst, im Buch Jesus Sirach, der hebräischen Schrift des jüdischen Toragelehrten Jesus Sirach, geschrieben etwa 170 vor un­serer Zeitrechnung. Sein Enkel Ben Sirach übersetzt es ins Griechi­sche. Denn viele jüdische Menschen lebten schon damals nicht in Israel/Palästina, sondern an anderen Orten im Mittelmeerraum oder Vorderasien. Sie sprachen teilweise kein Hebräisch mehr, wohl aber Griechisch. Ben Sirach beginnt seine Übersetzung mit einer Bitte:

15Ich lade euch nun also ein, 16mit Wohlwollen und Aufmerksamkeit 17das Gelesene aufzunehmen 18und dort Nachsicht zu üben, 19–20wo wir trotz intensiven Bemühens bei der Übersetzung vielleicht doch nicht die genaue Ausdrucksweise getroffen haben. 21–22Denn das, was bei uns auf Hebräisch gesagt wird, hat ja nicht mehr genau dieselbe Kraft, wenn es in eine andere Sprache übertragen wird. 23Das gilt nicht nur für das vorliegende Buch, 24–25sondern auch die Übersetzungen der Tora, der prophetischen Schriften und der übrigen Bücher 26unterschei­den sich nicht unwesentlich von den Fassungen in der Originalspra­che.

Wenn schon Ben Sirach innerhalb vergleichbarer Zeit und Kultur diese Probleme sieht, gelten sie umso mehr für die Gegenwart. Dennoch ist es nötig zu übersetzen, und zwar immer wieder neu, weil Sprache und Gesellschaft sich wandeln.
ZUM WEITERLESEN:

  • Ebach, Jürgen, Wie kann die Bibel gerecht(er) übersetzt werden?, in: Helga Kuhlmann (Hg.), Die Bibel – übersetzt in gerechter Sprache?, Grundlagen einer Übersetzung, Gütersloh 2005, S.36-60.
  • Luther, Martin, Brief an Wenzeslaus Link vom 14. Juni 1528, in: Luther Deutsch. Die Werke Martin Luthers in neuer Auswahl für die Gegenwart, hg. v. Kurt Aland/Michael Welte, Band 10: die Briefe, Göttingen 1983², S.188-189.
  • Janssen, Claudia,  Richtige Übersetzung – gibt’s die überhaupt? in: Erhard Domay/Hanne Köhler (Hg.), Werkbuch Gerechte Sprache, Praxisentwürfe für Gemeindearbeit und Gottesdienst, Gütersloh 2003, S.12-31.

Katrin Keita und Luise Metzler

 

Jede Übersetzung – auch die der Bibel in gerechter Sprache – steht in der Spannung, so genau wie möglich zu übersetzen, ohne unver­ständlich zu werden oder den Sinn zu verfälschen ( 12). Besondere Herausforderungen stellen Wortspiele dar ( 59) oder Begriffe, die in der Ausgangs- und der Zielsprache verschieden verstanden werden können. Manchmal geht ein bestimmter Aspekt des Textes verloren, wenn ein anderer, wichtiger Aspekt betont werden soll. Oder es tre­ten Teile der Bedeutung eines Wortes zurück, weil sie von den Über­
setzenden für weniger wichtig gehalten werden. Dies ist in der Ver­gangenheit oft dann der Fall gewesen, wenn der Text von
Erfahrungen von Frauen spricht.
Dazu drei Beispiele:

  • Das hebräische Wort nescher wird oft mit »Adler« übersetzt, z. B. in Jes 40,31: »Die auf GOTT  hoff en, gewinnen große Kraft, sie steigen auf mit Flügeln wie Adler.« Mit nescher sind jedoch keine Adler, sondern Geier gemeint. Im antiken Palästina waren Geier hoch geachtete Tiere, vergleichbar den Adlern in der griechischen und römischen Welt und später im Abendland. Schon die griechi­sche Übersetzung Septuaginta und die lateinische Übersetzung Vulgata übersetzen nescher mit »Adler«. Heute muss von Fall zu Fall gefragt werden, ob um des Bildes willen mit »Adler« übersetzt wird oder ob die genaue Übersetzung »Geier« passt, wie in Mi 1,16: »Mach dir eine Glatze, breit wie beim Geier.«

 

  • Luther übersetzt in Ps 90,12: »Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden«, obwohl dort das hebräische Wort für »sterben« nicht steht. Auch in Vers 3 (Luther 1984: »Der du die Menschen lässest sterben …«) kommt das hebräische Wort für »sterben« nicht vor. Die Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache ist jeweils näher am Hebräischen und legt dadurch einen anderen Sinn frei: »Lehre uns, unsere Tage zu zählen, damit wir ein weises Herz erlangen« (Ps 90,12). Unsere Tage zu zählen ist mehr, als nur den Tod im Blick zu haben. Die Betenden wollen lernen, die Zeit wahrzunehmen und auszukosten, die ihnen bis zum Tod geschenkt worden ist. Sie resignieren nicht an der Kürze des Lebens. In 90,3 übersetzt die Bibel in gerechter Sprache: »Zurückkehren lässt du die Menschen zum Staub …«.

 

  •  Röm 8,22 zeigt, dass die Auslegungs- und Übersetzungstradition manchmal patriarchaler ist als die Bibel selbst. Die Bibel in gerech­ter Sprache übersetzt: »Wir wissen, dass die ganze Schöpfung (…) mit uns zusammen unter den Schmerzen der Geburtswehen lei­det.« Das griechische Verb synodinein meint Anstrengungen bei Geburtswehen. Dieses weibliche Bild wird von vielen Übersetzun­gen neutralisiert, z. B. in Luther (1984): »Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung (…) mit uns seufzt und sich ängstigt.«

ZUM WEITERLESEN:

  • Janssen, Claudia, Gott, spürst du unsere Sehnsucht? Brief an die Gemeinde in (Rom 8,18-25), in: Claudia Janssen/Beate Wehn (Hg.), Wie Freiheit entsteht. Sozialgeschichtliche Bibelauslegungen, Gütersloh 1999, S.102-105.

Katrin Keita und Luise Metzler

 

Weil Übersetzen immer Interpretation ist, gibt es keine einzig richtige Übersetzung ( 12). Folgerichtig können Verse im Deutschen ver­schieden wiedergegeben werden, selbst wenn sie in der Ursprungs­sprache gleich lauten. Ein Beispiel sind die so genannten »Zehn Gebote«. Sie sind zweimal überliefert: in Ex 20 und Dtn 5. Für die Bibel in gerechter Sprache wurden sie unterschiedlich übersetzt. Darauf wird in der Bibel in ge­rechter Sprache auf S. 25 eigens hingewiesen. Erhard Gerstenberger legt für das Buch Exodus mehr Gewicht auf eine allgemein verständ­liche Sprache. Johannes Taschner möchte im Deuteronomium so weit wie möglich die Besonderheiten des hebräischen Textes wie­dergeben. Beim Elterngebot klingt es so:
Ex 2012: »Respektiere und versorge deinen Vater und deine Mut­ter …«
Dtn 516: »Dein Vater und deine Mutter sollen für dich Gewicht haben …«

Hintergrund ist das hebräische Wort kavod mit der Grundbedeutung »Schwere«/»Gewicht«. Übertragen kann es »Ehre«/»Bedeutung«/ »Würde«/»Ruhm«/»Respekt«/»Herrlichkeit«/»Glanz« bedeuten. Gerstenberger stellt die Verantwortung – auch die materielle – für die Elterngeneration ins Zentrum. Er entscheidet sich für zwei Ausdrücke: »respektiere und versorge«. Respekt ist ganz nah am hebräischen Wort. Versorgen macht deutlich, welches konkrete solidarische Tun gemeint ist. Taschner möchte so nah wie möglich am Hebräischen sein. Er nutzt die Doppelbedeutung, die »Gewicht« auch im Deutschen hat: »wich­tig«, »bedeutsam« oder »Körpergewicht«.

Ein weiteres Beispiel ist das Gebet Jesu, überliefert in Mt 6,9–13 und
Lk 11,2–4.
Mt 6,9: Du, Gott, bist uns Vater und Mutter im Himmel,
dein Name werde geheiligt.
Lk 11,2: Du Gott, dein Name werde geheiligt.

Hier geht es um das griechische pater ( 46). Luise Schottroff (Mt)
will deutlich machen, dass es nicht um das (männliche) Geschlecht
Gottes geht, sondern um die vertrauensvolle Beziehung. Luzia Sut­ter Rehmann (Lk) übersetzt mit »Gott«. Das Gebet Jesu ist im Lukas­evangelium deutlich kürzer wiedergegeben. Luzia Sutter Rehmann
möchte diese Knappheit in der Übersetzung beibehalten.
Kavod und pater gehören zu den Glossarbegriffen. Ihre Bedeutungs­breite kann im Anhang der Bibel in gerechter Sprache nachgeschla­gen werden ( 53).

ZUM WEITERLESEN:

  • Taschner, Zur Übersetzung der beiden Dekalogfassungen

In der Einleitung zur Übersetzung wird der Titel »Bibel in gerechter Sprache« mehrmals erklärt. Mit dem Titel »Bibel in gerechter Spra­che« wurde niemals der Anspruch erhoben, diese Übersetzung sei gerecht und alle anderen Übersetzungen seien ungerecht – genauso wie der Titel »Gute Nachricht« nicht suggerieren will, alle anderen Übersetzungen seien schlechte Nachrichten. Wenn Parteien sich christlich oder demokratisch nennen, werten sie auch nicht automa­tisch alle anderen Parteien als unchristlich oder undemokratisch ab. Das Ziel der Bibel in gerechter Sprache ist es, sich besonders an dem biblischen Grundthema Gerechtigkeit zu orientieren ( 15). Dass Ge­rechtigkeit in einer Übersetzung nie vollständig erreicht werden kann, ist den Herausgebenden und Übersetzenden bewusst.

ZUM WEITERLESEN:

 

Katrin Keita und Luise Metzler

Das letzte Buch der Bibel, die Johannesoffenbarung, ist von einer Person verfasst worden, deren Muttersprache nicht Griechisch war. Das ist daran zu erkennen, dass das Buch in einem eigentümlichen, holprigen Griechisch geschrieben ist, das auch grammatische Fehler aufweist. Wenn der Text in ein flüssiges und grammatisch korrektes Deutsch übersetzt wird, geht diese Eigenart des ursprünglichen Tex­tes verloren. Martin Leutzsch, der Übersetzer der Johannesoffenba­rung, hat ernsthaft überlegt, ob es möglich ist, diese Eigenart des griechischen Textes im Deutschen durchgängig nachzubilden. Aus Respekt vor dem Verfasser hat er sich dagegen entschieden. Denn Martin Leutzschs Muttersprache ist Deutsch; er hätte ein künstliches, holpriges Deutsch erfinden müssen. Manchmal wird solch eine künstlich falsche Sprache heute in Deutschland in Dialogen mit Men­schen verwendet, die eine andere Muttersprache haben, z. B.: »Du mir geben …« Dieses künstlich falsche Deutsch ist diskriminierend. An wenigen Stellen lässt Martin Leutzsch das Zweisprachengrie­chisch anklingen, z. B. in Offb 9,12: »Das erste ›Wehe‹ ist vergangen. Da! noch zwei ›Wehe‹ kommt danach!«, oder in Offb 17,4: »Die Frau war purpurn und scharlachrot gekleidet und goldgeschmückt mit Gold, Edelstein und Perlen, mit einem goldenen Becher in ihrer Hand, voll von Gräueln – und das Unreine ihrer Hurerei.« Trotz des unbeholfenen Griechisch gelingt es dem Verfasser der Johannes offenbarung, seine prophetische Botschaft wortgewaltig, klar, mit großer theologischer Sachkenntnis zu formulieren, durch­woben von Texten und Bildern aus der Hebräischen Bibel.

Katrin Keita und Luise Metzler

Für tabuisierte Vorgänge wie menschliche Ausscheidungen stehen in den griechischen und hebräischen Texten entweder beschöni­gende Ausdrücke oder sie bedienen sich der Vulgärsprache. Auch wenn es stark in den Sinn des Textes eingreift, diese vulgäre Sprache in literarisches Deutsch zu übersetzen oder selbst verhüllende Worte zu wählen, gibt es manchmal gute Gründe, es zu tun. Auf der ande­ren Seite kann es auch berechtigt sein, die hebräische bzw. griechi­sche Vulgärsprache in eine ähnlich vulgäre deutsche Entsprechung zu übersetzen. Ein Beispiel für vulgäre Sprache ist der hebräische Ausdruck bekir scha­tan. Mit diesem Vulgärbegriff wird in 1 Sam 25,22+34; 1 Kön 14,10; 16,11; 21,21; 2 Kön 9,8 abschätzig von »An-die-Wand-Pissern« gesprochen. Die Bibel in gerechter Sprache übersetzt es unterschiedlich. Uta Schmidt und Rainer Kessler haben sich in 1 Sam 25 für die Wiedergabe ent­schieden: »Ich lasse bis zum Morgen nichts von dem übrig, was männ­lich bei ihm ist!« In Anmerkung 164 erklären sie, es bedeute eigentlich: »nichts von dem, was gegen die Wand pisst«. Sie begründen es damit, dass der Text auch im Gottesdienst gelesen wird, und halten es für unnötig, die Leute mit einer drastischen Übersetzung möglicherweise vor den Kopf zu stoßen. Damit gehen sie den gleichen Weg wie Luther 1984 oder die Elberfelder Übersetzung und lassen offen, dass es auch um männliche Kinder geht. Letzteres geht in Hoffnung für alle und in der Einheitsübersetzung verloren, wo bekir schatan mit »einen der Männer« oder »ein Mann« wiedergegeben wird. Barbara Schmitz und Sigrun Welke-Holtmann möchten in 1 Kön und 2 Kön näher beim hebräischen Text bleiben. Sie vermuten, dass das Hebräische absichtlich unverhüllt spricht, und übersetzen durchgän­gig mit »der an die Wand pinkelt«. Ähnlich steht es in der Guten Nachricht, bei Zunz und bei Buber/Rosenzweig.

Ein Beispiel für beschönigende Sprache ist 1 Kön 18,27. Der Prophet Elia verhöhnt dort die Gottheit Baal. Die Elberfelder Bibel übersetzt: »Und es geschah am Mittag, da verspottete Elia sie und sagte: Ruft mit lauter Stimme, denn er ist ja ein Gott! Er ist sicher in Gedanken, oder er ist austreten gegangen, oder er ist auf der Reise; vielleicht schläft er, dann wird er aufwachen.« Eine Anmerkung macht deutlich, dass im Hebräischen eine beschönigende Umschreibung für das Ausscheiden von Kot und Urin steht. Andere Bibelübersetzungen brechen solche Schönfärberei nicht auf, sondern verschleiern es auch im Deutschen durch »er ist wohl beiseitgegangen« (Buber/Rosen­zweig); »er musste dringend mal weg« (Gute Nachricht); »er hat zu schaffen« (Luther). Dem folgt auch die Bibel in gerechter Sprache mit der Wiedergabe: »gerade weggegangen«. Die Übersetzerin geht da­von aus, dass das Hebräische trotz der Verhöhnung dem Gott Baal Respekt erweist, indem es das Tabu wahrt und über Ausscheidungs­vorgänge mit verhüllenden Worten spricht.

Katrin Keita und Luise Metzler

Die deutsche Sprache hat sich über die Jahrhunderte gewandelt. Das betrifft auch die Bedeutung von Wörtern. Oft meinen sie nicht mehr das Gleiche wie früher. Ein Beispiel dafür ist »Herr«. Es war im Mittel­alter die Bezeichnung für einen Höherstehenden. Heute wird Jeder­mann mit »Herr« angeredet (z. B. »Herr Müller«), ohne dass es um Rangunterschiede geht ( 44). Ein anderes Beispiel ist »heimsuchen«. Außer in biblischen Texten wird es im Deutschen heute nur noch selten verwendet. »Heimsu­chen« war ursprünglich doppeldeutig. Es konnte »jemanden ver ­folgen«/»strafen«/»bedrängen«/»schwere Prüfungen erleiden« be­deuten. Es konnte aber auch meinen: »jemanden in seinem Haus/ Heim aufsuchen«. Darum wird der Besuch Marias bei Elisabeth (Lk 1,39–56) traditionell »Maria Heimsuchung« genannt. »Heimsuchen« wird heute noch in Österreich gesagt, wenn jemand Kranke in deren Heim besucht. In Deutschland hat »heimsuchen« inzwischen nur noch den negativen Klang. In der Bibel ist »heimsuchen« u. a. bei Übersetzungen von Ex 20,5 und dessen Parallele Dtn 5,9 zu fi nden: »Ich bin der Herr, dein Gott, (…) der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen« (Luther 1984). Diese Über­setzung macht heute vielen Menschen Angst und lässt sie argwöh­nen, Gott im Alten Testament sei auf Rache und Strafe aus.
»Heimsuchen« steht dort für das hebräische Wort pakad. Es wird in der Bibel positiv und negativ verwendet. Zur Zeit Luthers konnte es mit »heimsuchen« übersetzt werden, da es damals ebenfalls Positives und Negatives meinte. Gott sucht Sara oder Hanna oder sein Volk heim. Sein Kommen beendet deren Not (Gen 21,1; 1 Sam 2,21; Ex 4,31). Pakad kann auch für den Besuch eines Mächtigen stehen, der zu so etwas wie einer Inspektion gekommen ist. In militärischem Zusam­menhang bietet sich die Übersetzung »mustern« an, z. B. in Num 1,2–3: »… alle Männlichen Kopf für Kopf, die mindestens 20 Jahre alt sind, jeder in Israel, der zum Heer ausziehen kann. Ihr sollt sie für ihr Heer mustern, du und Aaron.« Je nachdem, welche Situation angetroffen wird, hat pakad für die Aufgesuchten positive oder negative Folgen. So heißt es in Hos 12,3: »Aber einen Rechtsstreit hat  die Ewige auch mit Juda, um so Jakob nach seinem Wandel heimzusuchen (pakad); entsprechend seiner Taten wird sie ihm vergelten.« Und in Jer 5,9 fragt Gott: »Soll ich solche nicht zur Verantwortung ziehen (pakad) – so GOTTES Spruch – oder an einem derartigen Volk keine Rache nehmen?« Im Sinne von »nachschauen«/»inspizieren, ob alles mit rechten Din­gen zugeht« ist pakad im zweiten Gebot (Dtn 5,8–10) zu verstehen:

8Mache dir kein Kultbild noch irgendeine Gestalt dessen, was im Him­mel oben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde ist. 9Beuge dich ihnen nicht, arbeite nicht für sie, denn ich,  Adonaj, deine Gott­heit, bin eine eifersüchtige Gottheit. Ich gehe der Schuld der Eltern bis zu den Kindern, Enkelkindern und Urenkelkindern nach, bei denen, die mich hassen, 10aber ich erweise mich gegenüber der ganzen Verwandtschaft derer, die mich lieben und meine Gebote halten, als gnädig und treu.

Nicht Kollektivschuld ist gemeint, selbst bei den größten Verbrechen nicht. Es geht um die Frage: Handeln die Kinder weiter so wie ihre Eltern? Oder haben sie sich geändert? Weil es aber sehr wohl gene­rationsübergreifendes Fehlverhalten gibt, behält Gott noch die dritte bis vierte Generation kritisch im Blick, nämlich die, die noch mit ihren Groß- und Urgroßeltern zusammenleben können. Gleichzeitig gilt Gottes Freundlichkeit Tausenden: »Aber ich erweise mich gegenüber der ganzen Verwandtschaft derer, die mich lieben und meine Gebote halten, als gnädig und treu« (Dtn 5,10). Gemeint ist nicht eine endlose Kette von Generationen durch die Jahrhunderte, sondern die Ver­wandtschaft, der Clan, der tausend Frauen, Männer und Kinder um­fassen kann (vgl. Crüsemann, S. 59–60).

ZUM WEITERLESEN:

  • Crüsemann, Frank, Dekalog? Fünf Sätze zum Verständnis des Dekalogs, in: Frank Crüsemann, Maßstab: Tora. Israels Weisung und christliche Ethik, Gütersloh 2003, 57-66.

Katrin Keita und Luise Metzler

In der Öffentlichkeit wird manchmal behauptet, die Bibel in ge­rechter Sprache richte sich nur an Frauen. Dieses weist der Heraus­gabekreis zurück. Die Bibel in gerechter Sprache ist für alle da, denen die Bibel wichtig ist. Jüdische Menschen nicht zu diskrimi­nieren, soziale Bedingungen wahrzunehmen, geschlechterfair zu übersetzen, von Gott so zu sprechen, wie es im Hebräischen und Griechischen angelegt ist, sind Anliegen, die Frauen und Männer gleichermaßen betreffen. Dem versucht die Bibel in gerechter Sprache sich anzunähern, im Wissen, dass es nie vollständig gelin­gen kann. Rückmeldungen von Männern zeigen, dass ihnen die Bibel in ge­rechter Sprache ebenso neue Perspektiven auf die Bibeltexte eröff­nen kann wie Frauen. Auch viele Männer haben Schwierigkeiten mit einem patriarchalen Gottesbild und empfinden es als befreiend, wenn sie weibliche Gottesbezeichnungen lesen. Deshalb haben viele Männer als Einzelpersonen und mehrere Gruppen wie z. B. die Männer arbeit der Evangelischen Kirche in Westfalen die Überset­zung der Bibel in gerechter Sprache fi nanziell unterstützt.

Katrin Keita und Luise Metzler

Wenn die ursprünglichen Texte davon berichten, dass Frauen be­nachteiligt sind, übersetzt die Bibel in gerechter Sprache so, wie es dort steht, ohne es zu verfälschen oder unsichtbar zu machen. Auf keinen Fall werden Texte frauenfreundlich umgeschrieben ( 22). Wenn von einer Gruppe im männlichen Plural gesprochen wird, stellt sich die Frage, ob auch Frauen gemeint sind oder ob der Text aus­schließlich von Männern spricht. Wenn in einer Übersetzung Frauen mitgenannt werden (z. B. Rut 1,1: »als die Richterinnen und Richter richteten« statt »als die Richter richteten«), besteht die Gefahr, dass die damalige Frauenrealität zu wenig berücksichtigt wird. Die Frage ist nicht neu. Sie wird schon im 2. bis 3. Jahrhundert n. Chr. diskutiert. Die Rabbinen (jüdische Toragelehrte aus den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt) fragten sich, an welchen Stellen bei »Mann«, »Sohn«, »Sklave« auch Frauen, Töchter, Sklavinnen gemeint sind. Allein zum Buch Exodus und Deuteronomium gibt es dazu fast 40 Passagen, z. B. »Prophet« in Dtn 13,2. Nach Ansicht der Rabbinen geht es um beide Geschlechter: »Wenn ein Prophet oder eine Prophetin unter euch aufsteht« (Sifre Dtn § 83). Es wird auch umge­kehrt überlegt, ob weibliche Begriffe exklusiv Frauen meinen. So entscheiden die Rabbinen, dass das Wort in Ex 21,3 über die Ehefrau eines hebräischen Sklaven auch für den Ehemann einer hebräischen Sklavin gilt und dass der Vers »Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen« (Ex 22,17 , Luther 1984) auch für Zauberer gilt (Mekhilta Mischpatim 7). Wie fragwürdig die männerzentrierte bzw. Frauen mitmeinende Sprache ist, war den Menschen offensichtlich schon in der Antike bewusst. Einerseits wurde immer dann die männliche Form gewählt, wenn auch nur ein einziger Mann (mit-)gemeint war. Andererseits gibt es auch einige Stellen, an denen überraschend Frauen und Män­ner ausdrücklich genannt werden, so in 2 Kor 6,18 . Dort wird ein Zitat aus 2 Sam 7,14 aufgenommen (»er soll für mich Sohn sein«). Die »Töch­ter« werden im griechischen Wortlaut ergänzt: »Ihr sollt meine Söhne und Töchter sein.« Auch Luther fragte sich, wie »Söhne« verstanden werden muss. An Stellen, an denen es seiner Meinung nach auch um Frauen geht, z. B. in Röm 8,14 oder Mt 5,9 ( 97) , übersetzt er das griechische Wort hyioi mit »Kinder«. Die Übersetzenden der Bibel in gerechter Sprache haben sich ent­schieden, immer dann Frauen und Männer zu nennen (z. B. »Jünge­rinnen und Jünger« oder »jüdische Menschen« statt »die Juden«), wenn beide gemeint sind. Sie nehmen dabei in Kauf, dass an diesen Stellen in der deutschen Übersetzung nicht mehr zu erkennen ist, dass im Griechischen oder Hebräischen nur eine grammatisch männ­liche Form steht.

ZUM WEITERLESEN:

  • Leutzsch, Martin, Dimensionen gerechter Bibelübersetzung, in: Helga Kuhlmann (Hg.), Die Bibel – übersetzt in gerechter Sprache?, Grundlagen einer Übsersetzung, Gütersloh 2005, S.16-35.

Katrin Keita und Luise Metzler

In den ursprünglichen Texten gibt es Aussagen, die frauenfeindlich sind. Sie werden trotz ihres fragwürdigen Inhalts so übersetzt, wie sie vorgefunden werden, ohne zu beschönigen oder zu glätten. Ein Beispiel ist der Text 1 Kor 14,34 , nach dem Frauen in Gemeinde­versammlungen schweigen sollen. Eine Anmerkung erklärt, dass diese Worte mit großer Sicherheit später in den Brief nach Korinth eingetragen worden sind. Es war ein kirchenpolitischer und frauen­feindlicher Versuch, Frauen in den Gemeinden zum Schweigen zu bringen. Außerdem stehen am Rand der Zeile zwei Verweise auf Bibeltexte, die dem Redeverbot widersprechen, so genannte »Gesprächstexte« (54): In dem Verweis auf Mt 28,7 ist zu lesen, dass der Engel Gottes die Frauen am Grab beauftragt, den anderen Jüngerinnen und Jüngern zu verkündigen, dass Jesus auferstanden ist. Nur weil diese Frauen nicht geschwiegen, sondern geredet haben, wurde die Auferstehungsbotschaft öffentlich. In dem Text Röm 16,1–7 grüßt Paulus viele Frauen, die Leitungsaufgaben in den Gemeinden ausübten. Ein weiteres Beispiel ist Nah 3,5–6. Dort wird Gottes Gericht über die babylonische Stadt Ninive im Bild der Vergewaltigung einer Frau ge­zeichnet. Die Übersetzerin Gerlinde Baumann verzichtet darauf, die Aussage des Textes mit Hilfe von gegenläufigen Gesprächstexten zu relativieren. Sie stellt dem Text vielmehr Jes 47,2–3 und Jer 13,20–27 zur Seite. In der Jesaja-Stelle wird eine Vergewaltigung der Stadt Baby­lon, die im Text als Frau beschrieben wird, angedeutet. In dem Jere­mia-Text wird Jerusalem als Frau dargestellt, der Gott Vergewaltigung androht. Die Bibel in gerechter Sprache entfernt keine frauenfeindlichen Passa­gen aus der Bibel. Aber sie erweitert sie auch nicht durch diskriminie­rende Übersetzungen. Denn es gibt Texte, die in Übersetzungen frauen feindlich klingen, obwohl solches in den Ursprungssprachen nicht zu finden ist (91), z. B. das Wort »Weib«. Anders als im Mittelalter klingt es heute verächtlich. Im Redeverbot 1 Kor 14,34 heißt es daher: »Die Frauen sollen in der Gemeindeversammlung schweigen.«

 

Katrin Keita und Luise Metzler

Das Buch »Über die Zeit der Richterinnen und Richter« erzählt aus­führlich von Debora, die nicht nur prophetisch geredet hat, sondern auch richterliche Gewalt in Israel ausübte (Ri 4,4+5). Damit hatte sie das wichtigste Amt ihrer Zeit inne. Debora ist Heerführerin in einem Krieg gegen Kanaan, in dem auch die Keniterin Jael eine wichtige Rolle spielt. Nach Ri 5,31 war in Israel danach 40 Jahre lang Frieden. Die jüdische Auslegung der Bibel (Ruth Rabbah 1,1) rechnet auch Jael zu den Richterinnen. Das Lied, das die Richterin Debora nach dem Sieg singt, ist einer der ältesten Texte der Bibel (Ri 5). Der Text Sir 46,11 bezieht sich auf das Buch »Über die Zeit der Richte­rinnen und Richter«. Es ist also sachgerecht, den männlichen Plural »Richter« im Griechischen so zu übersetzen: »Auch die Richterinnen und Richter sind zu erwähnen, alle mit ihrem jeweiligen Namen; ihr Herz ging nicht fremd, ja, sie wandten sich nicht von der Ewigen ab. Möge die Erinnerung an sie ein Segen sein«.

ZUM WEITERLESEN:

  • Leutzsch, Martin, Jüdin, Bürgerin, Ärztin, Jüngerin, Apostelin. Frauenrollen in der Bibel sichtbar machen – ein Herausforderung für gerechte Bibelübersetzung. in: Erhard Domay/Hanne Köhler (Hg.), Werkbuch Gerechte Sprache, Praxisentwürfe für Gemeindearbeit und Gottesdienst, Gütersloh 2003, S.105-116.

Katrin Keita und Luise Metzler

Nach dem hebräischen Text von Joel 3,1 haben ausdrücklich nicht nur Männer, sondern auch Frauen die Gabe der Prophetie: »Eure Söhne und eure Töchter werden prophetisch reden.« Das nimmt Apg 2,17 auf. Die Einheitsübersetzung übersetzt: »Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein.« Im Alten Testament werden Mirjam (Ex 15,20), Debora (Ri 4,4), Hulda (2 Kön 22,14; 2 Chr 34,22), die Frau Jesajas (Jes 8,3) und Noadja (Neh 6,14) Prophetin genannt. In den Büchern Josua bis 2 Kön, die als so genannte »Vordere Propheten« in der jüdischen Tradition zusam­mengehören, tritt als erste Person nach Mose Debora als Prophetin auf. Die Prophetin Hulda schließt diese Reihe ab. Die jüdische Tradition rechnet auch Sara, Rebekka, Lea, Rahel, Tamar, Bitja, Rahab, Hanna, Abigail, Batseba, Ester und Judit zu den Prophe­tinnen. Darum kann zu Recht in Mt 5,12 übersetzt werden: »Die Pro­phetinnen und Propheten vor euch sind genauso verfolgt worden.« Im Neuen Testament erhält Hanna (Lk 2,36) den Titel einer Prophetin. Von den Töchtern des Philippus wird gesagt, dass sie »als Prophetin­nen wirkten« (Apg 21,9). Auch 1 Kor 11,5 spricht von Frauen, die pro­phetisch reden. Die Schriften der Kirchenväter betrachten darüber hinaus Maria (die Mutter Jesu) und Elisabeth als Prophetinnen.

ZUM WEITERLESEN:

  • Schüngel-Straumann, Helen, Artikel »Prophetin«,  in: Elisabeth Gössmann/ Helga Kuhlmann/ Elisabeth Moltmann-Wendel et al. (Hg.), Wörterbuch der feministischen Theologie, 2.  vollständig überarbeitete und grundlegend erweiterte Auflage, Gütersloh 2002, S. 460-462.
  • Fischer, Irmtraud, Gotteskünderinnen. Zu einer geschlechterfairen Deutung des Problem der Prophetie und der Prophetinnen in der Hebräischen Bibel, Stuttgart 2002.
  • Butting, Klara, Prophetinnen gefragt. Die Bedeutung der Prophetinnen im Kanon der Tora und Prophetie, Wittingen 2001.
  • Leutzsch, Martin, Jüdin, Bürgerin, Ärztin, Jüngerin, Apostelin. Frauenrollen in der Bibel sichtbar machen – ein Herausforderung für gerechte Bibelübersetzung. in: Erhard Domay/Hanne Köhler (Hg.), Werkbuch Gerechte Sprache, Praxisentwürfe für Gemeindearbeit und Gottesdienst, Gütersloh 2003, S.105-116.

Katrin Keita und Luise Metzler

In traditionellen Bibelübersetzungen wird vom »Buch der Könige« gesprochen. In der Bibel in gerechter Sprache lautet die Buchüber­schrift: »Über die Zeit der Königinnen und Könige«. Weil die meisten Menschen meinen, dass die Bücher nur von männlichen Herrschern erzählen, löst diese Überschrift bei manchen Verwunderung aus. Bei genauem Hinsehen sind jedoch sehr wohl israelitische und aus­ländische Königinnen zu entdecken, die Macht und Einfluss hatten,
z. B.
1 Kön 101–13; 2 Chr 91–12: die Königin von Saba
1 Kön 1119: die Königin Tachpenes von Ägypten
1 Kön 21; 2 Kön 9: die Königin Isebel von Israel
2 Kön 11: die Königin Atalya von Israel

Das Hohelied spricht von sechzig Königinnen (Hld 6,8). Auch in den Büchern Ester, Daniel und Nehemia ist von Königinnen die Rede. Dass einige Königinnen ausländischer Herkunft waren oder dass ihr Verhal­ten stark kritisiert wird (Isebel, Atalja), darf nicht dazu führen, sie aus­zublenden. Schließlich wird auch von Königen häufig verbrecherisches Verhalten erzählt, z. B. von Ahab (1 Kön 21) oder Joahas (2 Kön 13).

ZUM WEITERLESEN:

  • Leutzsch, Martin, Jüdin, Bürgerin, Ärztin, Jüngerin, Apostelin. Frauenrollen in der Bibel sichtbar machen – ein Herausforderung für gerechte Bibelübersetzung. in: Erhard Domay/Hanne Köhler (Hg.), Werkbuch Gerechte Sprache, Praxisentwürfe für Gemeindearbeit und Gottesdienst, Gütersloh 2003, S.105-116.

Katrin Keita und Luise Metzler

Vielen erscheint heute die Vorstellung fragwürdig, dass der Bote Gottes nicht nur Hirten, sondern auch Hirtinnen verkündet hat: »Denn seht, ich verkündige euch große Freude, die das ganze Volk betreffen wird« (Lk 2,10). Das war nicht immer so. Auf vielen Gemälden sind Frauen als Hirtinnen dargestellt, z. B. Corregio (1489–1534), »Die heilige Nacht« (Staatliche Kunstsammlung Dresden) oder Jan Cossiers (1600–1671), »Die Anbetung der Hirten« (Schloss Wilhelmshöhe, Kassel). Die Bibel erzählt selbstverständlich von Hirtinnen. In Gen 29,9 wird Rahel ausdrücklich als Hirtin bezeichnet. Anders als die meisten Bibelübersetzungen, die »sie war eine Hirtin« übersetzen, wird es in der Lutherübersetzung verschleiert: »Sie hütete die Schafe.« Sozial­geschichtliche Forschung zeigt eindeutig, dass auch in biblischer Zeit Frauen als Hirtinnen arbeiteten. Wer sonst hat die Herden ver­sorgt, wenn die Männer im Krieg waren oder wenn sie vorzeitig star­ben? Wenn im Griechischen ein Wort mit einer maskulinen Endung steht, ist dies kein Beweis dafür, dass nur Männer gemeint gewesen sind. Es gehört zur Eigenart antiker Sprachen, dass Frauen sich mit männlichen Begriffen bezeichnen und dass für Gruppen aus Frauen und Männern immer die männliche Pluralform verwendet wird. Im Deutschen ist es heute oft noch ähnlich, wenn z. B. eine Frau von sich sagt, ihr Beruf sei Arzt, oder wenn Zeitungen titeln: »Sportfest mit vielen Besuchern«.
Vielleicht geht es bei der Frage, ob es Hirtinnen gegeben hat, um mehr als die historischen Hintergründe. Die Texte, in denen »Hirten« bzw. »Hirtinnen« als Begriff oder als Bild vorkommen, berühren zen­trale Texte des Glaubens, so z. B. Ps 23.
Es könnte sein, dass die Übersetzungsmöglichkeit »Hirtinnen« das vertraute Bild von Gott als Hirte stört. Vielleicht stellt sie auch das so genannte »Hirtenamt« in Frage, das die Vollmacht und den Auftrag bezeich­net, eine Kirche oder Gemeinde zu leiten. Das »Hirtenamt« beruft sich auf 1 Petr 5,2: »Hütet die Herde Gottes.« Dieser Text wurde neben anderen zu einer wichtigen Begründung, dass nur Männer Christus repräsentieren können und daher kirchliche Äm­ter ausüben dürfen, wie es bis heute in einigen Kon­fessionen noch gilt. Die Einwände gegen die Über­setzung »Hirtinnen« sind vielleicht auch damit zu erklären, dass sie diese männerzentrierte Vorstellung irritiert.

ZUM WEITERLESEN:

Katrin Keita und Luise Metzler

 

Mit »Pharisäer« wurde zur Zeit Jesu kein Beruf bezeichnet wie etwa heute »Pfarrerin« oder »Diakon«. Der Pharisäismus war eine religiöse Bewegung im Judentum, ähnlich wie die messianische Bewegung um Jesus. Wie bei jeder Bewegung gehörten Frauen, Männer und Kinder dazu. Pharisäische Menschen nahmen die Vorschriften der Tora sehr ernst. Sie heiligten den Alltag auch in den Küchen und bei den Mahlzeiten, immer verbunden mit Gebeten und Ritualen. Dazu war es nötig, die Tora zu kennen und auszulegen – ein lebendiger Prozess des Lernens und Lehrens, an dem alle beteiligt waren. Frauen waren eigenverantwortliche Partnerinnen in der Gestaltung pharisäischen Lebens und Lehrens. Die Mischna, eine wichtige jüdische Rechts­quelle des zweiten Jahrhunderts, spricht ausdrücklich von der »pha­risäischen Frau« (Mischna Sota 3,4). Dass Frauen im frühen Christentum gelehrt, öffentlich gebetet und gesprochen haben und dass sie gleichberechtigt an allen Aktivitäten beteiligt waren, ist somit keine Neuerung gegenüber dem Judentum. Auch im Talmud wird geschil­dert, dass Frauen Tora studieren und lehren. Eine solche Toralehrerin ist Berurja. Der Talmud erzählt verschiedene Geschichten über sie. In Mt 23,2 ist von »Sitzen auf dem Stuhl des Mose« die Rede. Unab­hängig davon, was darunter genau zu verstehen ist, geht es darum, die Tora für die Gegenwart auszulegen – so wie Jesus und die Seinen es auch tun (Mt 9,35; Mk 6,30). Da Frauen an der Lehre beteiligt waren, ist davon auszugehen, dass Frauen auch hier dazugehören. Hinter der sozialgeschichtlichen Diskussion steht die Frage: War das pharisäische Judentum frauenfeindlich, z. B. im Sinne von 1 Tim 2,12: »einer Frau erlaube ich es nicht zu lehren …«? Solche Stimmen gab es im frühen Christentum und vielleicht auch im Pharisäismus. Das Verbot setzt jedoch voraus, dass Frauen genau das getan haben, nämlich gelehrt. Sonst wäre das Verbot nicht notwendig. Luise Schottroff nimmt an, dass wir uns heute pharisäische Frauen auch deshalb nicht vorstellen können, weil das nicht unserem Bild vom Pharisäismus entspricht. Sie schreibt: »Wir haben gelernt, uns Phari­säer als gesetzliche, kleinliche, heuchlerische Männer vorzustellen, als harte unterdrückerische Patriarchen, die Frauen als unrein dis­qualifizieren. Nichts davon ist wahr. Der Pharisäismus war eine Lai­enbewegung, die maßgeblich von Frauen mitgestaltet wurde. Der Pharisäismus entwickelte eine religiöse Praxis in den Familien, am Esstisch, im Alltag, beim Kochen und Einkaufen. Ohne Pharisäerinnen wäre das nicht gegangen. Wir haben eine lange Tradition der Verun­glimpfung des Pharisäismus. Es ist Zeit, sich neu zu informieren. Ich hoffe, dass die Pharisäerinnen in der Bibel in gerechter Sprache dazu einen Anstoß geben« (Votum, S. 6).
ZUM WEITERLESEN:

  • Ilan, Tal, Silencing the Queen. The Literary Histories of Shelamzion and Other Jewish Woman, TSAJ 115, Tübingen 2006.
  • Neusner, Jacob, Das Judentum in frühchristlicher Zeit, Stuttgart 1998.
  • Vahrenhorst, Martin, Paulus und das pharisäische Judentum, in: Sung-Hee-Lee Linke (Hg.), Paulus der Jude, Frankfurt am Main 2005.

Katrin Keita und Luise Metzler

In der Bibel in gerechter Sprache ist von »Zöllnerinnen« und »Zöll­nern« (Mt 5,46; Lk 3,12) und von »Fischersleuten« (Jer 16,16) zu lesen. Zwar stehen im griechischen Text und im hebräischen Text die männ­lichen Pluralformen »Zöllner« und »Fischer«. Der maskuline Plural wird verwendet, wenn zu einer Gruppe mindestens ein Mann gehört. Bei der Übersetzung ist jedoch zu fragen, ob nur Männer oder ob Frauen und Männer gemeint sind. Sozialgeschichtliche Forschungen belegen, dass Frauen in allen Be­reichen des Handwerks, der Kultur, der Verwaltung und der Feldwirt­schaft tätig waren. Die traditionelle Wahrnehmung biblischer Texte macht solche Arbeit unsichtbar. Sie geht davon aus, dass Frauen in Haus und Familie gearbeitet haben, während Männer außer Haus tätig waren. Im Gegensatz dazu belegen alte Papyri und Inschriften eindeutig, dass Frauen als Zöllnerinnen und Fischerinnen gearbeitet haben. Es ist nötig, die männerzentrierte Sprache des Griechischen, das z. B. nur von »Zöllnern« oder »Fischern« spricht, gerecht zu über­setzen, um die wichtige Arbeit von Zöllnerinnen und Fischerinnen ans Licht zu bringen. In Joh 21,1–3 steht daher: »Simon Petrus und Thomas (…) und zwei andere von seinen Jüngerinnen und Jüngern waren zusammen. Simon Petrus sagte zu ihnen: ›Ich gehe fischen.‹ Die anderen sagten zu ihm: ›Wir kommen mit dir mit.‹«

ZUM WEITERLESEN:

  • Schottroff,  Luise, Frauenhände – die Arbeit von Frauen im Neuen Testament, in: Luise Schottroff, Lydias ungeduldige Schwestern. Feministische Sozialgeschichte des frühen Christentums, Gütersloh 1994, S-120-126.
  • Breitmaier, Isa, Frauenberufe in biblischer Zeit, in: Isa Breitmaier/Luiza Sutter Rehmann (Hg.), Gerechtigkeit lernen. Lehren und lernen mit der Bibel in gerechter Sprache band 1, Gütersloh 2008, S.31-35.
  • Leutzsch, Martin, Jüdin, Bürgerin, Ärztin, Jüngerin, Apostelin. Frauenrollen in der Bibel sichtbar machen – eine Herausforderung für gerechte Bibelübersetzung,  in Erhard Domay/Hanne Köhler (Hg.), Werkbuch Gerechte Sprache, Praxisentwürfe für Gemeindearbeit und Gottesdienst, Gütersloh 2003, S.105-116.

 

Katrin Keita und Luise Metzler

Das griechische Wort mathetai wird traditionell mit »Jünger« über­setzt. Mathetai ist ein männlicher Plural, den antike Sprachen immer dann verwenden, wenn zu einer Gruppe mindestens ein Mann ge­hört. Mit mathetai im Neuen Testament sind Menschen gemeint, die Jesus nachfolgten, mit ihm lebten, lernten und sein Leben teilten, die bei ihm »in die Lehre gingen«. Mathetai kann auch mit »Schüler« oder »Schülerinnen« übersetzt werden, denn es kommt von einem Verb für »lernen« ( 77). Mathetai war damals ein ganz normaler Aus­druck. Auch andere Menschen hatten mathetai. Heute ist das deut­sche Wort »Jünger« zu einer kirchlichen Sondersprache geworden und wird nicht für andere Lernzusammenhänge gebraucht.
Die Bibel in gerechter Sprache verwendet im Buch »Über die Zeit der Apostelinnen und Apostel« ausschließlich die Grundbedeu­tung »Schüler« bzw. »Schülerinnen«. Die Übersetzerin des Lukas­evangeliums wechselt zwischen »Jünger«/»Jüngerinnen« und »Schüler innen«/»Schüler«. In den übrigen Büchern des Neuen Tes­taments wird mit »Jüngerinnen« oder »Jünger« übersetzt.
Dass es in der Nachfolgegemeinschaft Jesu Frauen gab, zeigt ein Blick in die Texte. Tabita aus der Stadt Joppe wird ausdrücklich mit der weiblichen Form mathetaia, also »Jüngerin« oder »Schülerin«, bezeichnet (Apg 9,36). Sie ist keine Ausnahme. Die Evangelien spre­chen von vielen Frauen, die auf gleiche Weise wie die männlichen Jünger zur Nachfolgegemeinschaft Jesu gehörten (u. a. Mt 28,5; Mk 15,40–41; Lk 8,2). Von einigen Frauen kennen wir die Namen, z. B. Maria von Magdala, Johanna und Maria, die Mutter des Jakobus (Lk 24,10). Auch in der christlichen Tradition wird selbstverständlich davon ausgegangen, dass Jüngerinnen zu Jesus gehörten. Das zei­gen Blicke in die revidierte Lutherübersetzung von 1984 und die Elberfelder Bibel. Beide wählen für den Text Lk 8,1–3 die Überschrift »Jüngerinnen Jesu«. Dort wird erzählt (Bibel in gerechter Sprache):

1In der folgenden Zeit zog Jesus durch Stadt und Land, predigte und verkündete das Reich Gottes. Mit ihm unterwegs waren die Zwölf 2und einige Frauen, die von üblen Geistern und Krankheiten geheilt worden waren: Maria, genannt die aus Magdala, aus ihr waren sieben Dämonen ausgefahren, 3und Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, und Susanna, und viele andere Frauen, die ihnen nach ihrem Vermögen dienten.

ZUM WEITERLESEN:

  • Fander, Monika, Das Evangelium nach Markus. Frauen als wahre Nachfolgerinnen Jesu, in: Luise Schottroff/ Marie-Theres Wacker (Hg.). Kompendium Feministische Bibelauslegung, Gütersloh 1986, S. 499-512.
  • Metzler, Luise, Auferstehung (Apg 936–42), in Dietlinde Jessen/Stefanie Müller (Hg.), Entdeckungen. Ungewöhnliche Texte aus dem Neuen Testament. Grundlagen – Auslegungen – Kreative Zugänge. Stuttgart 2003.
  • Schottroff, Luise,  Maria Magdalena und die Frauen am Grabe Jesu, in: Luise Schottroff, Befreiungserfahrungen. Studien zur Sozialgeschichte des Neuen Testaments, 1990.

Katrin Keita und Luise Metzler

Grundsätzlich werden im Neuen Testament unterschiedliche Begriffe verwendet für die Menschen, die Jesus nachfolgten. Neben den dodeka (»die Zwölf«) werden mathetai (»Schüler«/»Schülerinnen« oder »Jüngerinnen«/»Jünger«) ( 29) und apostoloi (»Apostelinnen« /»Apos­tel«) ( 31) genannt. Damit machen die Texte deutlich, dass es mehr »Jüngerinnen« und »Jünger« gab als »die Zwölf«. Auch Frauen ließen sich von Jesus überzeugen und begleiteten ihn.
Die Namen »der Zwölf« werden in den Evangelien aufgelistet: In Mt 10,1–4 und Mk 3,16–19 heißen sie Simon Petrus, Jakobus (Sohn des Zebedäus), Johannes, Andreas, Philippus, Bartolomäus, Matthäus, Thomas, Jakobus (Sohn des Alphäus), Thaddäus, Simon der Zelot oder der Kanaanäer und Judas Iskariot. Es sind eindeutig Männernamen. Sie werden in der Bibel in gerechter Sprache selbstverständlich so wiedergegeben. Der Vergleich mit dem Lukasevangelium zeigt aller­dings einen Unterschied in den Namenslisten: Der Text Lk 6,14–16 kennt keinen Thaddäus, nennt dafür einen zweiten Judas (Sohn des Jako­bus). Diese Abweichung in den Namensaufzählungen weist darauf hin, dass die Namen und damit die dahinter stehenden Personen an sich nicht so wichtig waren, wie heute vielleicht angenommen wird. Darauf deutet auch 1 Kor 15,5 hin, wo von »den Zwölfen« die Rede ist, obwohl Judas Iskariot nicht mehr dazugehört. Es fällt auch auf, dass der Begriff »die Zwölf« meist alleine steht, ohne den Zusatz mathetai oder apostoloi. Die Zahl »Zwölf« ist offensichtlich eine Symbolzahl. Sie stellt einen Zusammenhang her zwischen der Gemeinschaft, die Jesus nachfolgte, und den zwölf Stämmen des Volkes Israel (Mt 19,28). Zehn dieser zwölf Stämme wurden im 8. Jahrhundert v. Chr. durch die Großmacht Assur vertrieben und zerstreut. Doch die Hoffnung, dass Gott die Zerstreuten in der Zukunft wieder sammelt und dass die zwölf Stämme Israels wieder hergestellt werden, ist im jüdischen Volk lebendig geblieben. Sie ist verknüpft mit der Hoffnung, dass Kriege und Vertreibung aufhören werden. Jesus hat diese Hoffnung geteilt. »Die Zwölf« symbolisieren das ganze Volk Israel mit Frauen, Männern und Kindern, mit Lebendigen und Verstorbenen. Der Begriff »Die Zwölf« wäre demnach missverstanden, wenn er nur exklusiv auf Männer bezogen werden würde. Auch in der Kunst gibt es Darstellungen, auf denen Frauen unter den Zwölf sind, so z. B. bei der Holzschnitzerei »Abendmahlgruppe« in der St. Johanniskirche zu Ilmenau.
ZUM WEITERLESEN:

  • Sutter Rehmann, Luzia, Die Zwölf und die Apostelinnen, in: Isa Breitmaier/Luiza Sutter Rehmann (Hg.), Gerechtigkeit lernen. Lehren und lernen mit der Bibel in gerechter Sprache Band 1. Gütersloh 2008, S.89-92.

 

 

In der Bibel wird zwischen »den Zwölfen« und dem Apostelkreis un­terschieden (30). Das ist nachzulesen, z. B. in den Versen, in denen Paulus aufzählt, wer den Auferstandenen gesehen hat (1 Kor 15,5–9). In Vers 5 werden die Zwölf genannt, dann 500 Geschwister und am Ende von Vers 7 die apostoloi. In Vers 9 schließlich bezeichnet sich Paulus selbst als »Apostel«. Auch Barnabas, der Begleiter des Paulus, wird »Apostel« genannt (Apg 14,14). Als »Apostel« galten diejenigen, die die Auferstehung Jesu bezeugen konnten und die sich von Jesus dazu beauftragt fühlten. Auch Frauen waren unter den apostoloi. Im Brief an die Gemeinde in Röm 16,7 lässt Paulus zwei Personen grüßen. Sie heißen in der Luther­revision 1984 Andronikus und Junias und werden als »berühmt unter den Aposteln« bezeichnet. Dazu gibt es in den neueren Ausgaben der Lutherrevision eine Anmerkung: »Wahrscheinlich lautete der Name ursprünglich (weiblich) Junia. In der alten Kirche und noch bis ins 13. Jahrhundert wurde er als Frauenname verstanden«. Noch deut­licher steht es als Anmerkung zur gleichen Stelle in der Guten Nach­richt: »Für eine Frau spricht auch, dass der Frauenname Junia in der außerbiblischen antiken Literatur vielfach belegt ist, ein Männername Junias aber bis heute nicht nachgewiesen werden konnte«. Die orthodoxen Kirchen des Ostens wissen seit jeher, dass Junia eine Frau war. Die griechisch-orthodoxe Kirche zählt Junia gemeinsam mit ihrem Gefährten Andronikus zum Kreis der Apostelinnen und Apostel. Sie beruft sich dabei auf Lk 10,1–17 . In der Kunst wird Junia zuweilen zusammen mit Andronikus und dem Wundertäter Athana­sius abgebildet. Die Geschichte der »Geschlechtsumwandlung« der Apostelin Junia trägt Züge eines forschungsgeschichtlichen Krimis. 1982 hat die ame­rikanische Theologin Bernadette Brooten diese verdrängte Frauen­geschichte offen gelegt. In ihrem Aufsatz: »Junia …, hervorragend unter den Aposteln« zeichnete sie das Verschwinden der Apostelin Junia zugunsten eines Apostels Junias nach. Der frühen Christenheit war es selbstverständlich, dass es sich bei Junia um eine Frau han­delte, zumal es den Männernamen Junias nicht gab. Kirchenvater Johannes Chrysostomos wür­digte Junia im 4. Jahrhundert: »Ein Apostel zu sein ist etwas Großes, aber hervorragend un­ter den Aposteln – bedenke, welch wunderbares Loblied das ist. Sie waren hervorra­gend aufgrund ihrer Arbeit und ihrer rechtschaff enden Ta­ten. Wie groß muss doch die Weisheit dieser Frau gewesen sein, dass sie für den Titel Apos­tel würdig gefunden wurde« (zitiert nach Brooten, S. 148). Andere Kommentatoren ha­ben sich dem angeschlossen, bis im 13. Jahrhundert Aegi­dius von Rom den Namen als männlich einordnete. Damit begann eine Tradition, die sich bis heute in Bibelausgaben gehalten hat. In Nestle-Aland, der maßgeblichen wissenschaftlichen Textausgabe des Neuen Testaments (8), geschah diese Verwandlung später: Bis zur 12. Auflage 1923 stand im griechischen Text korrekt der Frau­enname Junia. Erst zu dem Zeitpunkt, als Frauen erstmals zum Theo­logiestudium zugelassen wurden und Pfarrerinnen werden wollten, nämlich ab der 13. Ausgabe (1927), wurde aus der Frau Junia der Mann Junias gemacht, ohne diese Verfälschung des Textes kenntlich zu machen. Die Textmanipulation hatte enorme Auswirkungen auf fast alle deutschsprachigen Bibelübersetzungen im 20. Jahrhun­dert.
Bis zur 25. Aufl age von Nestle-Aland (1963) waren wenigstens im wissenschaftlichen Apparat zu Röm 167 die griechischen Belege aus den ersten Jahrhunderten für den Frauennamen Junia aufgelistet. In der 26. Aufl age 1986 verschwanden sie und wurden erst in der
27. Auflage 1997 wieder wissenschaftlich korrekt aufgenommen. Dennoch konnten die Herausgeber sich nicht dazu durchringen, 1997 endlich auch im Text selbst die weibliche Form Junia zu über­nehmen. Erst 1998 im fünften korrigierten Druck der 27. Auflage wurde dieser Texteingriff korrigiert. Endlich steht im Griechischen wieder der Frauenname Junia.
Die theologische Auslegung des Verses verlief ähnlich. Die Bibelwis­senschaftler der vergangenen Jahrhunderte diskutierten in ihren Kommentaren Röm 16,7 ausführlich. Adolf von Harnack (1912) hatte große Zweifel daran, dass in Röm 16,7 mit Junia ein Mann gemeint sei. »Erst der Römerbriefkommentar von Ernst Käsemann aus dem Jahr 1960 fand den Befund keines Kommentars mehr für würdig. Aus Junia schien endgültig ein Junias geworden zu sein, bis Bernadette Brooten in den 70er Jahren das Problem wieder bewusst machte« (Gielen, S. 184). Die Apostelin Junia war keine Ausnahme. Die Kirche in den ersten Jahrhunderten nach Christi bezeichnete u. a. Maria Magdalena als Apostelin. Sie bekam sogar den Ehrennamen apostola apostolorum (»Apostelin der Apostel«). Frauen haben die Geschichte des frühen Christentums entscheidend mitgestaltet. Darum gibt die Bibel in gerechter Sprache apostoloi dann mit »Apostel und Apostelinnen« wieder, wenn Frauen und Männer gemeint sind, z. B. in Lk 17,5 und 1 Kor 15,7. Dabei ist zu bedenken, dass in den neutestamentlichen Büchern unterschiedliche Personenkreise als apostoloi gelten. Ein Beispiel ist das Buch »Über die Zeit der Apostelinnen und Apostel«. Dass »Apostelinnen« in der Bibel in gerechter Sprache im Buchtitel erscheinen, erklärt die Einleitung zum Buch so: »Diese Überschrift trägt der Tatsache Rechnung, dass in den christusgläubigen Gemein­den der frühen Zeit auch eine Frau Apostelin sein konnte (Röm 167). Das Buch selbst spricht außer von ›den Zwölfen‹ (…) nur zweimal beiläufig von Paulus und Barnabas als Aposteln (Apg 144+14).« Darum wird in der Apg – außer im Buchtitel – das Wort apostoloi immer mit der männlichen Form »Apostel« übersetzt.

ZUM WEITERLESEN:

  • Albrecht, Ruth, Artikel »Apostelin/Jüngerin«, in: Elisabeth Gössmann/ Helag Kuhlmann/ Elisabeth Moltmann-Wemdel et al. (Hg.), Wörterbuch der Feministischen Theologie, 2. vollständig überarbeitete und grundlegend erweitere Auflage, Gütersloh 2002, S. 33-36.
  • Brooten, Bernadette,  >>Junia… hervorragend unter den Aposteln<< (Röm 16,7), in: Elisabeth Moltmann-Wendel (Hg.), Frauenbefreiung, München ²1982.
  • Leutzsch, Martin, Jüdin, Bürgerin, Ärztin, Jüngerin, Apostelin. Frauenrollen in der Bibel sichtbar machen -eine Herausforderung für Gerechte Sprache, Praxisentwürfe für Gemeindearbeit und Gottesdienst, Gütersloh 2003, S. 105-116.
  • Gielen, Marlies, Frauen in den Gemeinden des Paulus, Von den Anfängen bis zum Ende des 1. Jahrhunderts, Salzburger Theologische Zeitschrift 6, 2002.

Katrin Keita und Luise Metzler

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es in Deutschland ver­schiedene Versuche, das Judesein Jesu zu bestreiten. Bereits 1907 behauptete der antisemitische Schriftsteller Max Bewer in seinem Buch »Der deutsche Christus«, Jesus stamme von germanischen Söld­nern im römischen Heer in Galiläa ab und seine Verkündigung sei »germanisch« geprägt gewesen. Der Flensburger Pastor Friedrich Andersen, Mitbegründer der rechtsradikalen Kirchenpartei der Deut­schen Christen, wollte 1917 das Neue Testament »entjudaisieren« und Jesus als Vorbild für »Opfermut« und »männliches Heldentum« dar­stellen. Das sind zwei radikale Beispiele, wie der christliche Antijuda­ismus dem nationalsozialistischen Antisemitismus den Weg berei­tete. Heute wird kaum noch bestritten, dass Jesus Jude war und als Jude gelebt hat. Dennoch wurde in der theologischen Ausbildung auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts häufig »das Christliche« in Abgrenzung vom »Jüdischen« definiert. Als »echt« galten Jesus­worte oft nur dann, wenn sie sich von der jüdischen Theologie der damaligen Zeit unterschieden. Die Bibel in gerechter Sprache nimmt ernst, dass Jesus Jude war. In ihr ist zu entdecken, dass Jesus wie ein frommer Jude gekleidet war. Die Frau, die sich von Jesus Heilung erhoffte, berührte den »Schaufaden an seinem Mantel« und nicht den »Saum seines Gewandes«, wie häufig übersetzt wird (Mt 9,20 ; Lk 8,44). Schaufäden gehören zur Kleidung jüdischer Menschen (78). Jesus hat als frommer Jude gewirkt, gelehrt und diskutiert. Als er über die Gebote Gottes sprach, wollte er nicht neue Gebote verkün­den, wie das aus der Übersetzung »Ich aber sage euch« (Luther 1984) abgeleitet werden könnte. Er legte die Gebote aus (»Ich lege euch das heute so aus«, Bibel in gerechter Sprache) und bestätigte die Geltung der Tora ausdrücklich (Mt 5,17) (75).
Es gibt auch Stellen, an denen Jesus harte Worte gegen Jüdinnen und Juden sagt, z. B. Joh 8,44 ( 33+79). Diese Texte wurden von der Bibel in gerechter Sprache nicht verharmlost. Es ist jedoch immer zu bedenken, dass es sich bei der Kritik Jesu an jüdischen Menschen um eine innerjüdische Kritik handelt. Das harte Wort in Joh 8,44: »Ihr kommt vom Teufel als Vater her« richtet sich z. B. an die eigene An­hängerschaft Jesu, an jüdische Menschen, »die ihm glaubten« (Joh 8,31).

 

Katrin Keita und Luise Metzler

Das Neue Testament ist im Wesentlichen von jüdischen Menschen für jüdische Menschen in einem jüdischen Kontext geschrieben wor­den. Wenn verallgemeinernd von »den Juden« (hoi iudaioi) gespro­chen wird, dann klang es damals anders als heute. Denen, die lasen, dass die Jüngerinnen und Jünger sich vor hoi judaioi fürchten, war klar, dass damit nicht pauschal alle jüdischen Menschen gemeint waren. Denn die Jüngerinnen und Jünger Jesu waren auch jüdisch. Sie hatten nach seinem Tod Angst vor denen im jüdischen Volk, die mit der Besatzungsmacht Rom kollaborierten und widerständige Gruppen im eigenen Volk verfolgten. Eine Übersetzung mit »die Juden« blendet nicht nur diese sozialgeschichtliche Realität aus. Sie transportiert auch die Vorstellung, die noch bis vor wenigen Jahren in christlichen Kirchen herrschte: »Die Juden haben unseren Herrn Jesus getötet«. Sogar Bonhoeffer, der jüdischen Menschen zu fl iehen half, argumentierte so: »Niemals ist in der Kirche Christi der Gedanke verloren gegangen, dass das ›auserwählte Volk‹, das den Erlöser ans Kreuz schlug, in langer Leidensgeschichte den Fluch seines Tuns tra­gen muss« (Bonhoeffer, S. 49). Die Folgen dieser pauschalen Verleum­dung waren für jüdische Menschen über die Jahrhunderte mörde­risch. Eine besondere Situation haben wir im Johannesevangelium. In kei­nem der anderen Evangelien steht Jesus so oft einer Gruppe gegen­über, die hoi ioudaioi (meist übersetzt mit: »die Juden«) genannt wird (79). Um diese Texte einordnen zu können, ist es wichtig, die his­torischen Hintergründe zu kennen. Das Johannesevangelium ist zu einer Zeit entstanden, in der die Nachfolgegemeinschaft Jesu und die anderen jüdischen Gemeinden miteinander in Konflikt geraten. Einige aus der Jesusbewegung fürchteten, deshalb aus ihrer örtli­chen Synagoge ausgeschlossen zu werden (Joh 9,22; 12,42; 16,1). Dies erklärt, warum sich das Johannesevangelium immer wieder mit ver­schiedenen jüdischen Menschen und ihren Positionen auseinander­setzt. Dabei kann das Gegenüber Jesu hoi ioudaioi genannt werden, genauso wie es auch allgemein jüdische Menschen meinen kann,
z. B. »das Judentum« (z. B. Joh 4,22) oder »Menschen aus Judäa«
(z. B. Joh 7,1). Es schließt auch diejenigen ein, die zur Jesusbewegung gehören ( 79).
In der Bibel in gerechter Sprache wird – wie auch in der Guten Nach­richt – sorgsam differenziert, um wen es bei hoi iudaioi geht. Im Wort­laut ist zu erkennen, wer konkret gemeint ist, z. B. »andere jüdische Menschen« (Joh 7,11 u. ö.) oder »Menschen aus seinem Volk« (Joh 7,15) oder »das jüdische Volk« (z. B. Mt 2,2; Mk 15,2). Nicht »aus Furcht vor den Juden« (Einheitsübersetzung/Luther 1984) saßen die Jüngerin­nen und Jünger laut Joh 20,19 hinter verschlossenen Türen, sondern »aus Angst vor der jüdischen Obrigkeit« (Bibel in gerechter Sprache). Nicht »die Schar und der Oberst und die Diener der Juden nahmen Jesus und banden ihn« (Elberfelder Bibel), sondern »die Kohorte, ihr Anführer und die Leute der jüdischen Obrigkeit nahmen Jesus fest« (Bibel in gerechter Sprache) (Joh 18,12). Damit wird deutlich, dass es sich um innerjüdische Auseinandersetzungen handelte.

ZUM WEITERLESEN:

  • Wengst, Klaus, Nicht den Stab brechen über die, die sich verfehlen, in: Klaus Wengst, Das Johannesevangelium. 1. Teilband: Kapitel 1-11, Theologischer Kommentar zum Neuen Testament; Band 4.1, Stattgart u.a. 200, S.301-308.

Katrin Keita und Luise Metzler

Gott hat einen Namen. Dies ist in der christlichen Tradition vielfach in Vergessenheit geraten. Namen – auch Gottes Name – sind in der Regel unübersetzbar. Aber sie können Bedeutungen anklingen las­sen, so auch beim Namen Gottes. Als Gott Mose beauftragt, das Volk Israel aus der Sklaverei Ägyptens herauszuführen, fragt Mose Gott nach seinem/ihrem Namen. Gott antwortet bedeutungsschwer: »Ich bin da, weil ich da bin! (…) Das Folgende sollst du zu Israel sagen: JHWH (…) hat mich zu euch geschickt« (Ex 3,14–15). Im Hebräischen stehen die vier Konsonanten JHWH. Sie lassen die Verben »werden«/ »sein« (hawah) und »da sein«/»existieren« (hajah) anklingen, ohne den Namen auf eine einzige Bedeutung festzulegen. Der Name Gottes wurde bereits in biblischer Zeit nicht ausgesprochen. Später wurden der Hebräischen Bibel, die ursprünglich nur Konsonanten enthielt, Vokale zugefügt. Der Name Gottes JHWH erhielt Vokale, die zeigen, dass dieser Name als adonaj ausgesprochen werden soll (38).
Wenn jüdische Menschen bis heute den Namen Gottes nicht aus­sprechen, wollen sie dem Gebot entsprechen, den Namen Gottes nicht zu missbrauchen (Ex 20,7). Wir können sicher sein, dass auch Jesus und die Seinen ihn niemals ausgesprochen haben, denn das war in der jüdischen Welt undenkbar. Aus Ehrfurcht vor der Heilig­keit des Namens Gottes wurden Ehrfurchtsworte gesprochen wie              ha-Schem (»der Name«) (39) oder Adonaj (38), eine allein Gott vorbehaltene Anrede. Die griechische Übersetzung der Hebräischen Bibel und das Neue Testament wählen meist das Ehrfurchtswort kyrios (44) an Stelle des Gottesnamens. Dieser Praxis, Ehrfurchtsworte für den heiligen Namen Gottes zu ver­wenden, schließt sich die Bibel in gerechter Sprache an. Um das Miss­verständnis zu vermeiden, Gott sei ein Mann, verzichtet die Bibel in gerechter Sprache auf eine durchgängige Wiedergabe des Gottes-namens mit »Herr«, wie sie in den meisten christlichen deutschen Bibelübersetzungen steht. Damit aber zu erkennen ist, dass alle Ehr­furchtsworte nur Versuche sind, den einen, unaussprechlichen Na­men Gottes wiederzugeben, bietet die Bibel in gerechter Sprache mehrere Lesevarianten an ( 35). Darunter sind auch weibliche, wie z. B. »die Heilige« oder »die Ewige«, und Worte aus der jüdischen Tradition, wie z. B. »Adonaj« ( 38) oder »Schechina« ( 40).
Es gibt nur wenige Ausnahmen, in denen eine Spur des Namens Got­tes erklingt. Dazu gehört jah. Es kommt in der Bibel etwa fünfzig Mal vor, z. B. in Ps 68,5: »Jah ist ihr Name – frohlockt bei ihrem Anblick!« oder in halelu jah, z. B. Ps 104,35 »Halleluja! Lobt Jah!« In vielen Eigennamen verweisen die Vor- oder Nachsilben je/jo/jah auf den Namen Gottes. Dazu gehören Obadja (»Sklave Jahs«), Batja (»Tochter Jahs«), Jeremia (»Jah ist erhaben«), Jesaja (»Jah rettet«), Johanna (»Jo ist Gnade«), Jael (»Jah ist Gott«) (36), aber auch Jehoschua. Er entspricht dem griechi­schen Namen jesous (»Jesus«) und bedeutet: »Jeh rettet«.

ZUM WEITERLESEN:

Katrin Keita und Luise Metzler

Adonaj; die/der Eine, der/die Ewige; die/der Heilige; der/die Lebendige; der Name; GOTT; ha-Schem; ha-Makom; ICH/DU ; ER/SIE; Ich-bin-da; Sche­china.

Diese Lesevarianten für den heiligen Namen bietet die Bibel in ge­rechter Sprache an. Alle gehören zur christlichen und jüdischen Tradition und sind theo­logisch verantwortet. Sie werden in der Einleitung der Bibel in ge­rechter Sprache erklärt (S. 16–21). Gott ist mehr, als Menschen durch ihre Sprache ausdrücken können. Darum kann alles, was Menschen zu Gott oder über Gott sagen, nur der Versuch einer Annäherung sein. Die Bibel in gerechter Sprache ist bestrebt, das schon im Schrift­bild zum Ausdruck zu bringen.
Jede Doppelseite der Übersetzung beginnt mit einer Kopfzeile, in der unterschiedlich angeordnet mehrere dieser Ehrfurchtsworte ste­hen. Die Zeile beginnt mit jod-jod und endet mit kappa­sigma, z. B. S. 1186:

ER/SIE Ich-bin-da der Lebendige die Eine ha-Schem die Heilige

Der Gottesname beginnt im Hebräischen mit dem Buchstaben jod, dem im Deutschen der Buchstabe »j« entspricht. Das doppelte jod-jod ist eine rabbinische Abkürzung des Gottesnamens. Die Kopfzeile endet mit den griechischen Buchstaben kappa-sigma. Es sind die Anfangs- und Endbuchstaben von kyrios, mit dem in den Deuterokanonischen Schriften (49) und im Neuen Testament der Name Gottes wiedergegeben wird (44). Überall dort, wo Gottes Name JHWH in der Hebräischen Bibel vor­kommt bzw. wo in den Deuterokanonischen Schriften und im Neuen Testament das Ehrfurchtswort kyrios anstelle des Gottesnamens steht, ist es im Schriftbild der Bibel in gerechter Sprache grau unterlegt. Genauso wie in der Kopfzeile wird es im Alten Testament gerahmt von jod-jod, z. B. in Ps 1462: »Ich will den Heiligen loben.«. In den Deute­rokanonischen Schriften und im Neuen Testament steht es zwischen kappa-sigma, z. B. in Bar 115: »Beim Ewigen, unserem Gott, ist Gerechtigkeit« oder in Lk 146: »Meine Seele lobt die Lebendige.« Dadurch wird deutlich, dass es in allen Teilen der Bibel um die gleiche Gottheit geht, um Israels Gott, deren Name JHWH heilig ist. Der Name Gottes steht in der Bibel in gerechter Sprache über allem – nämlich in der Kopf­zeile. Dadurch, dass er im Text grau unterlegt ist, fällt er sofort ins Auge. Christinnen und Christen kann auf diese Weise neu bewusst werden, was sie im Vaterunser beten: »Geheiligt werde dein Name.«

 

ZUM WEITERLESEN:

  • Crüsemann Marlene, Zur Übersetzung und graphischen Gestaltung des Gottesnamens in beiden Testamenten der >>Bibel in gerechter Sprache<<, in: Helga Kuhlmann (Hg.), Die Bibel – übersetzt in gerechte Sprache? Grundlagen einer Übersetzung, Gütersloh 2005, S.173-177.
  • Ebach, Jürgen, Zur Wiedergabe des Gottesnamens in einer Bibelüberset­zung, in: Helga Kuhlmann (Hg.),  Die Bibel – übersetzt in gerechte Sprache? Grundlagen einer Übersetzung, Gütersloh 2005, S.150-158.

Katrin Keita und Luise Metzler

 

Im Alten Testament steht der Eigenname Gottes JHWH (34). Mit genau 6828 Belegen ist es der häufigste Name, der in der Bibel vor­kommt. Daneben wird Gott im Hebräischen mit elohim bzw. im Griechischen mit theos bezeichnet. Es sind Gattungsbegriffe für Gottheiten bzw. für Götter und Göttinnen allgemein, vergleichbar mit »König« als Gattungsbegriff und »David« als Eigenname eines Königs. In Ex 1811 erkennt Moses Schwiegervater: » Sie (JHWH) ist stärker als alle an­deren Gottheiten«. Ps 97,9 lobt: »Du,  Adonaj (JHWH), bist Gott in der Höhe über die ganze Erde, hoch erhaben über alle Gottheiten.« In Apg 19,26 betont Paulus, die von Händen gemachten Statuen seien keine Göttinnen und Götter. Gleichzeitig wird die Gottheit Israels an vielen Stellen, beginnend mit der Schöpfungserzählung, elohim genannt: »Durch einen Anfang schuf Gott Himmel und Erde« (Gen 1,1). »Da schuf Gott Adam, die Menschen, als göttliches Bild (…) männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen« (Gen 1,27). Bevor Gott Israel die Gebote schenkt, stellt Gott sich vor: »Ich bin  Adonaj (JHWH), deine Gottheit, weil ich dich aus Ägypten, dem Haus der Sklavenarbeit, befreit habe« (Dtn 5,6).
Von elohim abgeleitet ist die Kurzform el. Mit el werden einerseits Gottheiten von Israels Nachbarvölkern bezeichnet. Die grammatisch männliche Form el kann auch für eine Göttin verwendet werden. Das zeigt sich im Ausdruck »el der Frauen und Männer aus Sidon«, der in 1 Kön 11,33 die Göttin Astarte meint.
Andererseits kann mit el Israels Gott im Gegenüber zum Menschen und besonders zum Mann bezeichnet werden, z. B. in Hos 11,9: »Denn Gott (el) bin ich, und nicht ein Mann.«
El ist oft verbunden mit anderen Wörtern, z. B. el schaddai in Gen 17,1 oder Ex 6,3. Traditionell wird dies mit »Gott, der Allmächtige« über­setzt. Dabei ist die Bedeutung von schaddai unklar. Es könnte die Bezeichnung der Gottheit eines Feldes (akkadisch: schadu) sein oder mit schad, einem Wort für die Mutterbrust, zusammenhängen. Im Hebräischen kann bei schaddai auch das Wort schadad (»vernichten«) mitgehört werden. Wegen dieser Vielfalt wird in der Bibel in gerech­ter Sprache unterschiedlich übersetzt, z. B. »die nährende Kraft Got­tes« (Rut 1,20) oder »die Gottheit, die nährt und zerstört« (Gen 17,1). Eine Vielfalt von Gottesbezeichnungen ist also bereits in den Ur­sprungstexten angelegt.
Weitere Verbindungen mit el sind el eljon z. B. in Gen 14,19–22 (»die höchste Gottheit«), Dtn 32,8 (»die Höchste«) oder in Ps 7,18 (»Gott in der Höhe«). Viele Eigennamen tragen el/eli (»Gott«/»mein Gott«) in sich, z. B. Micha-el (»Wer ist Gott?«), Samu-el (»Gott hört«) oder Eli­sabeth (»mein Gott ist vollkommen«).
Eine weitere Gottesbezeichnung ist hypsistos. Das kommt von hypos (griechisch: »Höhe«) und wird hier als Superlativ (»am höchsten«) verwandt und substantiviert. Besonders die deuterokanonischen Bücher und das Neue Testament verwenden es. So steht z. B. in Jdt 13,18: »Gesegnet seist du, Tochter, von der Gottheit, der Höchsten (hypsistos).« In Lk 1,76 wird Jesus gesegnet: »Du aber, mein Kind, wirst Prophet des Höchsten (hypsistos) genannt werden.« In Apg 7,48 er­klärt Stephanus mit Blick auf Gott: »Jedoch: Die höchste Majestät (hypsistos) wohnt nicht in von Menschenhänden errichteten Gebäu­den.«
»Gott hat in der Bibel einen Eigennamen und darüber hinaus weitere Namen und Bezeichnungen. Gemeinsam halten sie fest, dass Gott stets derselbe, aber nicht immer die Gleiche, stets die Gleiche, aber nicht immer derselbe ist. Das Zugleich der Erfahrung der Einheit und die Erfahrung der Vielfalt Gottes erkennbar werden zu lassen – eben jener Vielfalt, die sich der Einheit Gottes verdankt –, ist ein ganz zen­trales Anliegen der Bibel in gerechter Sprache« (Bibel in gerechter Sprache, S. 2360).

ZUM WEITERLESEN:

  • Gerber, Christine/Joswig, Benita/Petersen, Silke (Hg), Gott heißt nicht nur Vater. Zur Rede über Gott in den Übersetzungen der >>Bibel in gerechter Sprache<<, Biblisch-theologische Standpunkte Band 32, Götingen 2008.

Katrin Keita und Luise Metzler

Gottes Wesen übersteigt die menschliche Vorstellungskraft. Gott ist immer größer, als Menschen es sich denken können. Um das, was Men­schen von Gott wahrnehmen, in Worte fassen zu können, verwenden sie Bilder. Wer in die Bibel schaut, entdeckt, dass von Gott in männli­chen, weiblichen und geschlechtsneutralen Bildern gesprochen wird. Das männliche Bild von Gott als »Vater« (z. B. Ps 89,27; Lk 10,21–22) ist den meisten Menschen bekannt und kommt vor allem im Neuen Testa­ment häufig vor. Doch Gott selbst vergleicht sich auch mit einer »Mut­ter«: »Wie eine Mutter tröstet, so will ich euch trösten« (Jes 66,13). In Ps 22, den Jesus am Kreuz betet (Mt 27,46), wird Gott als Hebamme gezeichnet: »Du hast mich aus dem Mutterleib gezogen, mir Vertrauen eingeflößt an der Brust meiner Mutter« (Ps 22,10). Andere Bilder sind weder weiblich noch männlich. Nach dem Buch Hosea ist Gott »wie Tau für Israel« oder »wie ein grünender Wacholder« (Hos 14,6+9). David betet zu Gott als »Fels meiner Befreiung« (2 Sam 22,47). Weil die überwiegende Zahl der für Gott verwendeten Bilder männ­lich ist, kann das Missverständnis entstehen, dass Gott selbst männ­lich sei. Dem widerspricht die Bibel ausdrücklich: »Denn Gott bin ich, und nicht ein Mann« (Hos 11,9). Um eine solche Missdeutung zu ver­meiden, spricht die Bibel in gerechter Sprache von Gott in männ­lichen und weiblichen Formen. Für jedes einzelne biblische Buch und für jeden einzelnen Psalm wurde entschieden, welche grammatika­lischen Formen für Gott und welche Gottesbezeichnungen (34+36) zu dem jeweiligen Text passen. Es kann z. B. heißen:

Ps 121,2: »Meine Hilfe kommt von der Ewigen, die Himmel und Erde gemacht hat.«
Ps 124,8: »Unsere Hilfe liegt im Namen des Ewigen, der Himmel und Erde gemacht hat.«

Die Übersetzungen der Bibel in gerechter Sprache führen deshalb nicht zu einem einseitig weiblichen Gottesbild. Die Mehrheit der ver­wendeten Gottesbezeichnungen in der Bibel in gerechter Sprache ist männlich. Außerdem lädt die Bibel in gerechter Sprache schon in der Einleitung (S. 17) ausdrücklich dazu ein, auch andere als die in der Übersetzung vorgeschlagenen Gottesbezeichnungen zu wäh­len. Auch der Vorwurf, Gott werde in der Übersetzung sexualisiert oder vermenschlicht, trifft nicht zu. Männliche Gottesbezeichnungen, wie sie in traditionellen Übersetzungen gebraucht werden, sind genauso wenig geschlechtslos wie weibliche. Durch weibliche Gottesbezeich­nungen wird Gott nicht mehr vermenschlicht als durch männliche.

ZUM WEITERLESEN:

 

Katrin Keita und Luise Metzler

Adonaj kommt vom hebräischen Wort adon. Oft wird es mit »Herr« übersetzt. Adon bezeichnet jedoch nicht »Jedermann«, sondern ähn­lich wie kyrios ( 44) eine hochgestellte Person mit Macht und Gewalt, die Eigentum in Form von Vermögen und Menschen (Sklaven und Sklavinnen) hat. Auch ein Ehemann kann in einer patriarchalen Ehe adon seiner Frau sein, z. B. Abram über Sara (Gen 18,12).
Adonaj ist eine Pluralform. Das »j« am Ende des Wortes steht für »mein«. Die Form Adonaj wird – anders als das griechische kyrios und das deutsche »Herr« – ausschließlich als Anrede für Gott verwendet. Die Anrede eines hochgestellten Mannes heißt adoni. In Ex 21,5 spricht ein Sklave von seinem Besitzer als adoni (übersetzt mit: »meine Herrschaften«). Gottes Herrschaft ist dadurch schon sprach­lich anders als die Herrschaft von Menschen. In der Bibel in gerechter Sprache ist Adonaj einer der Lesevorschläge für den Namen Gottes (35).

Daneben wird adonaj im Hebräischen als eigenes Wort verwendet, z. B. in Am 9,1. Der Bibel in gerechter Sprache geht es darum, in der
Übersetzung des Wortes adonaj die Macht Gottes auszudrücken.
Darum wird in Am 9,1 übersetzt: »Die Macht«. Andere Übersetzungs­varianten sind z. B.: »meine Autorität« (Num 14,17), »die Autorität über mir« (Klgl 1,14), »Macht über mir« (Gen 15,2), »meine Herrin« (Ex 4,10).
Wenn adonaj unmittelbar vor oder nach dem Gottesnamen JHWH
steht, wird es manchmal mit Hilfe eines Verbs oder Adjektivs ausge­drückt, z. B. »mächtig über allen« (Ez 2,4) oder »du herrschst über
mich« (Hab 3,19).
Bücher, in denen in der Bibel in gerechter Sprache der Gottesname
mit »Adonaj« wiedergegeben wird, sind z. B. Genesis, Leviticus, Deu­teronomium, Über die Zeit Josuas, Das Buch Micha, Das Buch
Sacharja, einige Psalmen, das Matthäusevangelium und Über die Zeit
der Apostelinnen und Apostel.

 

Katrin Keita und Luise Metzler

Der hebräische Ausdruck ha-Schem bedeutet »der Name«. Er wurde und wird in der jüdischen Tradition als Ehrfurchtswort für den Gottesnamen JHWH gelesen. Der hebräische Artikel ha- (»der«) in ha-Schem unterstreicht, dass der Name Gottes einzigartig und be­sonders ist, dass es der Name ist, der über allen anderen Namen steht. Biblisch ist die Formulierung »der Name« in der Erzählung vom brennenden Dornbusch (Ex 3,15) verankert: »Das ist mein Name für alle Zeit; mit ihm sollen alle Generationen sich an mich erin­nern«. Zu den biblischen Büchern, die in der Bibel in gerechter Sprache ha-Schem als Ersatzname verwenden, gehören das Buch Zefanja und einige Psalmen. Sowohl ha-Schem als auch die Übersetzung »der Name« stehen als Möglichkeit, den Namen Gottes wiederzu­geben, in der Kopfzeile.

 

Katrin Keita und Luise Metzler

In der jüdischen feministischen Tradition wird für den Namen Gottes JHWH auch das Ehrfurchtswort Schechina benutzt. Es ist ein Sub­stantiv, das zum hebräischen Wort schachan, »wohnen«, gehört. In der jüdischen Literatur bezeichnet Schechina Gott selbst, wenn Gott bei den Menschen gegenwärtig ist, bei ihnen wohnt. In der Bibel ist es nur implizit zu finden, etwa in Ex 33,9. Dort symbolisiert eine Wol­kensäule, dass Gott im Zelt der Begegnung anwesend ist. Im Talmud heißt es: »Wenn zwei beisammen sitzen und sich mit den Worten der Tora beschäftigen, weilt die Schechina unter ihnen.« Das Neue Testament überträgt dieses auf Jesus: »Wo zwei oder drei in meinem Namen in Gemeinsamkeit zusammenkommen, bin ich mitten unter ihnen« (Mt 18,20).
Dieser Tradition folgend gehört Schechina zu den Begriffen, die in der Kopfzeile ( 35) der Bibel in gerechter Sprache als Ehrfurchts­worte für den Namen Gottes angeboten werden. In der Übersetzung wird Schechina jedoch nirgends verwendet.

Katrin Keita und Luise Metzler

Ha-Makom ist ebenfalls ein Ehrfurchtswort für Gott. Es bedeutet: »der Ort« und wird aus Est 4,14 abgeleitet (74). Der Text spricht von einem geplanten Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung in Persien. Mordechai, ein jüdischer Mann, erklärt seiner Tochter Ester, die per­sische Königin geworden ist: »Denn wenn du in dieser Zeit schweigst, wirklich schweigen solltest, wird den Jüdinnen und Juden von einem anderen Ort Atem und Rettung entstehen.« Nach der rabbinischen Auslegung ist mit den Worten »von einem anderen Ort« Gott ge­meint. Die Gottesbezeichnung ha-Makom erinnert auch daran, dass Gott die eigene Gegenwart an den konkreten Ort Jerusalem/Zion gebunden hat. Gott als »der Ort« geht mit ins Exil, mit in die Diaspora und hält gleichzeitig die Hoffnung auf die Rückkehr ins Land wach. In der Bibel in gerechter Sprache wird der Gottesname in einigen Psalmen mit ha-Makom wiedergegeben, z. B. in Ps 16,1–2: »Behüte mich, Gott! In dir berge ich mich. Ich spreche zu ha-Makom : Du bist mächtig über alle«. Dieser Psalmanfang lässt einen weiteren As­pekt der Gottesbezeichnung ha-Makom anklingen. Die moderne Traumatherapie entwickelte vor Jahrzehnten das Konzept des so ge­nannten »inneren sicheren Orts«. Dieser »innere sichere Ort« ist für traumatisierte Menschen ein Ort des Schutzes, den es wirklich gibt, an den sie sich erinnern oder den sie in ihrer Phantasie ausgestalten. Die Patientinnen und Patienten können mit therapeutischer Unter­stützung lernen, in Augenblicken großer Angst und Belastung in ihren »sicheren Ort« einzukehren, um dort Ruhe zu finden. Mit ha-Makom kann Gott als solch »innerer sicherer Ort« angesprochen werden, als Schutzraum, der sich heimatloser, verängstigter und ver­zweifelter Menschen annimmt.

ZUM WEITERLESEN:

  • Crüsemann, Frank, Der Gewalt nicht glauben. Hiobbuch und Klagepsalmen – zwei Modelle theologischer Verarbeitung traumatischer Gewalterfahrungen, in: Frank Crüsemann/ Marlene Crüsemann/ Claudia Janssen et al. (Hg.), Dem Tod nicht glauben. Sozialgeschichte der Bibel. Festschrift für Luise Schottroff, Gütersloh 2004, S.269-298.
  • Frettlöh, Magdalene L., Trinitarische Wohngemeinschaft. Ha-maqom – die geräumige Gottheit, in: Mitteilungen der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland, Heft 437 (Dezember 2007), S. 15-23.

Katrin Keita und Luise Metzler

Dieser Übersetzung liegt das Hebräische ruach oder das Griechische pneuma zu Grunde. Die Grundbedeutung von ruach ist »bewegte Luft«. Je nach Zusammenhang kann ruach mit »Wind«/»Sturm«/»Ener­gie«/»Kraft«/»Geist«, aber auch »Atem«/»Lebensgeist«/»Charisma« übersetzt werden. Grammatisch ist ruach fast immer weiblich. Jürgen Ebach schreibt im Glossar der Bibel in gerechter Sprache: »Gottes ruach weht am Beginn der Schöpfung (Gen 1,2), sie erfasst Menschen, gibt ihnen das Leben (Hiob 33,4) und oft besondere Kraft (Ri 14,6 ; Jes 11,2). In Ez 37 kommen viele dieser Aspekte zusammen, wenn ihre ,ruach als Wind in die toten Gebeine fährt, ihnen ihre ruach Lebenskraft wiedergibt und dann als Gottes ruach, Gottes Geistkraft in ihnen wirkt« (S. 2377).
Die griechische Übersetzung von ruach lautet pneuma. Es ist gram­matisch ein Neutrum. Damit wird im Neuen Testament die Kraft be­zeichnet, mit der Gott Leben schafft. Bei Marias Schwangerschaft wirkt Gottes Geist als schöpferische Kraft (Lk 1,35). Durch Gottes Geist­kraft kann Jesus Dämonen austreiben (Mt 12,28). Die Geistkraft stärkt und ermutigt die Gemeinde (Apg 2,1–13). In der Zeit nach dem Entste­hen der biblischen Texte wird aus ruach oder pneuma eine Person der göttlichen Dreifaltigkeit, meist mit »Heiliger Geist« wiedergege­ben.
Die Bibel in gerechter Sprache übersetzt ruach und pneuma häufig mit »Geistkraft«, weil mit diesem deutschen Wort das Kraftvolle, Ener­giegeladene besser zum Ausdruck kommt als in der üblichen Über­setzung »Geist«. Außerdem kann das Wort »Geist« im Deutschen miss­verständlich sein und falsche Assoziationen wecken. Denn manche denken bei »Geist« an »Verstand« oder an »Gespenst« und »Polter­geist«. Schließlich entspricht das grammatisch weibliche »Geistkraft« eher dem ebenfalls meist grammatisch weiblichen Wort ruach.

ZUM WEITERLESEN:

Schüngel-Straumann, Helen, Artikel »Geist/Ruach«, in: Elisabeth Gössmann/ Helga Kuhlmann/ Elisabeth Moltmann-Wendel et al. (Hg.), Wörterbuch der feministischen Theologie, 2.  vollständig überarbeitete und grundlegend erweiterte Auflage, Gütersloh 2002, S. 206-208.

Katrin Keita und Luise Metzler

 

Die griechische Formulierung hyios tou anthropou wird in traditio­nellen Bibelübersetzungen häufig mit »Menschensohn« wiederge­geben. In der Forschung wird »Menschensohn« zu den so genannten »Hoheitstiteln« Jesu gezählt. Dahinter stehen der hebräische Aus­druck ben-adam oder das aramäische bar-enasch, die beide völlig alltägliche Ausdrücke sind. Während adam oder enasch die Gattungs­bezeichnung »Mensch« meinen, macht der Zusatz ben oder bar (»Sohn«) deutlich, dass es im Text um einen Menschen als Einzelper­son geht.
In dem alttestamentlichen Text Dan 7,13 wird die alltägliche Formu­lierung »ein Mensch« in einem theologisch gewichtigen Zusammen­hang gebraucht. Die Bibel in gerechter Sprache übersetzt: »Ich schaute in nächtlichen Visionen: Da! mit Himmelswolken kam etwas wie ein Mensch.« Wer dieses »etwas wie ein Mensch« ist, ob sich dahinter das Volk Israel oder eine messianische Figur verbirgt, ist in der alttestamentlichen Forschung umstritten. Deutlich wird nur, dass diese Gestalt die Herrschaft Gottes repräsentiert. Neutestamentliche Texte wie Lk 21,27 oder Lk 22,69 spielen auf diese Stelle im Danielbuch an. In Lk 21,27 nennt Jesus als ein Merkmal der kommenden Endzeit: »Und dann werden sie den Menschen auf einer Wolke kommen se­hen, mit Kraft und großem Glanz.«
An weiteren Stellen redet das Neue Testament von Jesus als dem hyios tou anthropou. Der alltägliche Ausdruck »Mensch« wird so zu einer Bezeichnung für Jesus. Das Besondere ist demnach nicht der Begriff an sich, sondern die Frage, wie er theologisch zu füllen ist. Wenn Jesus von sich selbst als »der Mensch« spricht, betont das ge­rade seine Niedrigkeit und nicht seine Hoheit, wie der Fachbegriff »Hoheitstitel« nahe legen könnte. Jesus weiß sich als ein Mensch, der wie andere Menschen in seinem Tun und seinem Vertrauen auf Gott
z. B. Vergebung bewirken kann (Mt 9,6; Mk 2,5 + 10). Was Jesus tut, traut er auch anderen zu, die Gott vertrauen (Mk 9,18–19+23). Es geht um das Handeln der Menschen, um ihre pistis (»Vertrauen«) (
 81), durch die sie sich als menschlich erweisen. Das wissen die Menschen in Mt 9,8 , die das Wunder von Heilung und Vergebung erlebt haben. Sie loben nicht Jesus und dessen Vollmacht, sondern sie »begannen Gott zu achten und zu loben, weil Menschen (Plural!) solche Vollmacht ha­ben« (Mt 9,8).
Die Bibel in gerechter Sprache übersetzt hyios tou anthropou diffe­renziert. Wo es um Mensch-sein geht, wählt sie meist »der Mensch«, um die Alltäglichkeit des ursprünglichen Begriffs hervorzuheben. An Stellen, die eher an die endzeitliche Tradition des hyios tou anthropou anknüpfen, steht: »der kommende Mensch« (Mt 13,37 und 13,41) oder »die himmlische Menschengestalt« (Mk 13,26). Luther übersetzte durchgängig mit »des menschen son«. Erst in den letzten Luther-Revisionen (1972 und 1984) hat das Kunstwort »Menschensohn«, ein Fachbegriff aus der neutestamentlichen Wissenschaft, Eingang in die Übersetzungen gefunden.

ZUM WEITERLESEN:

Katrin Keita und Luise Metzler

 

In der antiken griechisch-römischen Gesellschaft bezeichnet kyrios ähnlich wie adon (38) eine Person mit umfassender Verfügungsge­walt. Sie betrifft Vermögen, Landbesitz und Menschen. Ein kyrios be­sitzt Sklavinnen und Sklaven und entscheidet über das Leben derer, die für ihn arbeiten. Dementsprechend ist kyrios eine höfliche Anrede gegenüber Höhergestellten, z. B. in Mt 9,38 als Zuständigen für die Ernte. Auch Ehefrauen nennen ihre Männer kyrios (1 Petr 3,6) und Kin­der ihre Väter (Mt 21,30). Die größten kyrioi (Plural von kyrios) sind die Könige der Erde (1 Kor 8,5; Offb 17,14), der Kaiser in Rom (Apg 25,26) und die »Macht« des Geldes (Mt 6,24) sowie der Sünde (Röm 6,14). Kyrios wird biblisch in solchen gesellschaftlichen Zusammenhängen verwendet. Gleichzeitig wählen die griechische Übersetzung der Hebräischen Bibel, die Septuaginta (8 + 49) sowie das Neue Testa­ment kyrios als Ausdruck für die Heiligung des Gottesnamens. Auch Jesus kann kyrios genannt werden. Wegen dieses Gleichklanges ist es manchmal schwer zu unterscheiden, ob Gott oder Jesus gemeint sind (71).

Die Reformatoren konnten kyrios begründet mit »Herr« übersetzen. Denn im Mittelalter war »Herr« als Gegensatz von »Knecht« die Be­zeichnung eines Höhergestellten. Über die Jahrhunderte wandelte sich der Begriff. Heute ist »Herr« zu einer alltäglichen Anrede für Je­dermann geworden, ohne einen Rang zu kennzeichnen. Auf der glei­chen Ebene bezeichnet »Herr« bestimmte Ordnungen, z. B. die Her­renabteilung im Kaufhaus, einen Herrenfriseur oder gar Toiletten. Daher ist es vielen Menschen fraglich geworden, ob »Herr« heute noch als Wiedergabe des Namens Gottes geeignet ist. Traditionelle Bibeln übersetzen kyrios bis heute fast durchgehend mit »Herr«. Da­mit ignorieren sie den Bedeutungswandel von »Herr« und schreiben zudem ein männliches Gottesbild fest.

Die Bibel in gerechter Sprache schaut bei jeder Textstelle genau hin, wer mit kyrios gemeint ist. Wenn die Übersetzenden überzeugt sind, dass der Name Gottes mit kyrios umschrieben wird, wählen sie wie bei JHWH im Alten Testament (34+35) eine Lesevariante aus der Kopfzeile und unterlegen sie grau, z. B.: »In der ganzen Gegend brei­tete sich das Wort Adonajs  aus« (Apg 13,49).
Wenn kyrios sich auf Jesus bezieht, wird versucht, die darin liegende Befreiung von menschlicher Herrschaft in der Übersetzung zum Klin­gen zu bringen. Die Bibel in gerechter Sprache wählt »Herr«, wenn der Zusammenhang zeigt, dass es um die Anerkennung von Autori­tät geht. Das gilt besonders für die Autorität Jesu. Kyrios Iesous – »Jesus ist Herr« bekennen die ersten Gemeinden. Sie stellen damit im Namen Jesu, des Gesalbten (45) Gottes, jede Herrschaft von Menschen über Menschen in Frage. So heißt es z. B. in Phil 2,10–11: »… damit im Namen Jesu sich alle Knie beugen sollen im Himmel und auf Erden und unter der Erde, und jede Zunge bekennen soll, dass Jesus Christus der Herr ist zur Ehre Gottes.« An vielen weiteren Stellen wie z. B. Lk 11,1; Apg 1,6+21; 2 Kor 4,5; Eph 1,15 wird Jesus auch in der Bibel in gerechter Sprache »Herr« genannt. Im letzten Satz der Bibel in gerechter Sprache ist zu lesen: »Amen, komm, Herr Jesus! Die Gnade des Herrn Jesus sei mit allen« (Offb 22,20+21). Kyrios kann aber auch übersetzt werden: »dem wir gehören« (1 Thess 1,1), »dem allein wir unterstellt sind« (Gal 6,18), »der für uns maßgeblich ist« (Jud 1,17) oder »der Macht über uns hat« (Apg 20,35). Gott oder Jesus kyrios zu nennen und ihnen Hochschätzung zukom­men zu lassen, erteilt weltlichen Herrschaftsansprüchen eine Absage. Paulus beschreibt es so (1 Kor 7,22–24):

Denn eine von der Ewigen gerufene Sklavin oder ein Sklave – sie sind Freigelassene der Ewigen. Und ebenso sind Freie, die Gott ge­rufen hat, Sklaven und Sklavinnen des Messias. Ihr seid für einen hohen Preis erworben worden. Lasst euch nicht von Menschen versklaven. Gott hat euch alle, Geschwister, gerufen, dabei bleibt! – Vor Gott.

Solches öffentlich zu bekennen, erforderte Mut und war politisch brisant (46).

Kyrios gehört zu den Glossarbegriffen, die in der Bibel in gerechter Sprache dort am Rand stehen, wo sie übersetzt worden sind. Ihre Bedeutungsbreite ist im Anhang der Bibel nachzulesen (53). Die Versuche in der Bibel in gerechter Sprache, nicht immer »Herr« zu sagen, sollen »die traditionelle Sprachform variieren und auch auf diese Weise die Tradition lebendig halten, damit die bleibende Aus­sage ›Herr ist Jesus Christus‹ umso kräftiger hervortreten kann« (Mar­lene Crüsemann).

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  Katrin Keita und Luise Metzler

Christus ist die lateinische Form des griechischen Wortes christos, das wiederum dem hebräischen Wort maschiach (»Gesalbter«) entspricht. Von maschiach kommt das deutsche Wort »Messias«. »Gesalbt sein« ist im Alten Testament verbunden mit der Hoff nung auf ein Leben in Gerechtigkeit und Frieden. Priester (Ex 40,15) und Propheten werden (1 Kön 19,15–16) zu Beauftragten Gottes gesalbt. Ebenso salbt (maschach) der Prophet Samuel Saul und David zu Kö­nigen. Als Gesalbte Gottes (maschiach: 1 Sam 26,9; 2 Sam 19,22; Ps 18,51) sollen sie Israel gerecht regieren, es vor Fremdherrschaft bewahren und aus Unterdrückung befreien. Jes 61,1–2 verheißt, dass eine mes­sianische Gestalt den erniedrigten und gequälten Menschen Rettung bringen wird. Die jüdische Tradition hofft auf die messianische Zeit, in der ein idealer König von Gottes Geistkraft erfüllt für die Armen und Schwachen eintreten wird. Diese Person »wird Gerechtigkeit als Gürtel um ihre Hüften und Treue als Gürtel um die Taille tragen« (Jes 11,5). Sie wird Frieden für alle Völker bringen, obwohl sie arm ist und »voll Demut«. Sie »reitet auf einem Esel, ja, auf einem Grautier, dem Füllen der Eselin« (Sach 9,9). Solche Hoffnung verbinden die Nachfolgegemeinschaften Jesu mit Jesus. »Jesus Christus« ist nicht im Sinn heutiger Vor- und Zunamen zu verstehen. Es ist die Kurzform des Bekenntnisses: »Jesus ist der Gesalbte Gottes«, wie z. B. Paulus es der Gemeinde in Korinth schreibt (2 Kor 4,5):

Wir verkünden ja nicht uns selbst, sondern dass Jesus Christus Herr ist – und uns selbst um Jesu willen als Menschen, die für euch Sklavenarbeit tun. Denn Gott sprach: Licht soll aus der Dunkelheit aufstrahlen, und Gott hat ein helles Strahlen in unsere Herzen gegeben, so dass wir das Leuchten der Gegenwart Gottes im Angesicht des Messias Jesus erkennen.

Das griechische Wort christos ist hier mit »Christus« und mit »Messias« übersetzt.
Christos wird auch mit »Gesalbter« wiedergegeben, z. B. in Lk 4,41. Manchmal stehen zwei Übersetzungsvarianten nebeneinander, z. B. als Jesus seine Jüngerinnen und Jünger fragt, für wen sie ihn halten. Lk 9,20 gibt die Antwort des Petrus wieder: »Für Christus, den Gesalb­ten Gottes.« In Mk 8,29 klingt es so: »Du bist der Messias, der Gesalbte Gottes.« Beide Übersetzungen zeigen, dass im Neuen Testament im Begriff christos der Glaube und die Hoffnungen Israels anklingen, wie sie in der Hebräischen Bibel bezeugt sind. Das Gleiche streben auch andere Bibelübersetzungen an. So verwendet der katholische Theo­loge Fridolin Stier den Begriff »Christus« in seiner Übersetzung des Neuen Testaments nur ein einziges Mal am Ende des Stammbaumes in Mt 116: »… der Christus genannt wird – das heißt Messias.« Danach wählt Stier nur noch die Bezeichnung »Messias«. Häufig ist in der Bibel in gerechter Sprache das geläufige »Christus« bzw. »Jesus Christus« zu finden, z. B. an zentralen Stellen wie Mk 1,1; Röm 1,1; 1 Kor 1,2–3; 2 Kor 5,17. In einigen der Briefe, z. B. in den Briefen an die Gemeinden in Ephesus, Philippi und Kolossä ist durchgehend mit »Christus« übersetzt. Christos gehört zu den Begriffen, die an vielen Stellen am Rand stehen, wenn sie vorkommen, und deren Bedeutungsbreite im Glossar nachgeschlagen werden kann (53).

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 Katrin Keita und Luise Metzler

Nach dem Vorbild der Hebräischen Bibel (z. B. Jes 63,16; Ps 68,6; Jer 31,9) wird im Judentum zur Zeit des Neuen Testaments für Gott u. a. das Bildwort pater verwendet. Traditionell wird es mit »Vater« übersetzt, was zu einem problematischen Gottesbild beitragen kann. Denn in der Geschichte der Kirche wurde die Vater-Anrede für Gott oft be­nutzt, um patriarchale Herrschaft zu begründen: Hausvater – Stadt­väter – Landesväter – Kirchenväter – Gottvater. Die Bibel spricht in vielen Bildworten von Gott, darunter »Vater« (14) und – seltener – »Mutter« (Jes 49,15; 66,13). Schon die Rabbinen (jüdische Toragelehrte) in nachbiblischer Zeit sahen die Gefahr, dass das Bild zur Eigenschaft wird, »als sei Gott Vater oder König, wie Menschen Väter oder Könige sind. Darum heißt es in rabbinischer Literatur häufig ›Vater in den Himmeln‹, eine Wendung, die sich im Matthäusevangelium und auch im Vaterunser wiederfindet (Mt 6,9). So soll klar werden, dass Gott kein Vater aus Fleisch und Blut ist« (Luise Schottroff). Gott »Vater« zu nennen, war unter der Herrschaft Roms ein Akt des Widerstands. Der Kaiser in Rom wollte pater genannt werden. Es ihm zu verweigern, war lebensgefährlich. Denn der Kaiser beanspruchte pater als Hoheitstitel für sich. Er legte keinen Wert darauf, seine Anrede mit der Gottheit des kleinen unterworfenen Volkes Israel zu teilen. Im Christentum ist über die Jahrhunderte oft vergessen worden, dass »Vater« nicht ein Name Gottes, sondern ein Bild für Gott ist. Es wurde außer Acht gelassen, dass Gott anders ist als menschliche Väter. Jesus ist sich dessen bewusst, wenn er in Mt 23,9 fordert, niemanden auf Erden »Vater« zu nennen. Mit der Vater-Rede von Gott wurde im Gegenteil patriarchale Herr­schaft christlich begründet. Weil Gott-Vater über den Menschen steht, habe auch ein menschlicher Vater Hoheitsrechte über andere Menschen. Ähnliches gilt für das Bild von Gott als König. Pater ist im Neuen Testament kein Eigenname für Gott. Weil Gottes heiliger Name JHWH (34) in der biblischen Tradition nicht ausge­sprochen wird, werden stattdessen Ehrfurchtsworte verwendet. Dazu gehören »Adonaj« (38), »König der Welt« oder auch pater. Eine Übersetzung von pater sollte deutlich machen, dass es »ein Bild ist und dass Gott nicht Vater ist, wie Menschen Väter (oder auch Müt­ter) sind, die geliebt, gehasst, gefürchtet werden« (Luise Schottroff ). Wiedergabemöglichkeiten sind »wie Mutter und Vater« oder »wie Vater und Mutter« (Joh 8,54; 1 Kor 15,24), »Gott« (Mk 11,25) oder »Ur­sprung« (Gal 1,3). Dass es bei pater um Beziehung geht, machen Er­gänzungen wie »für euch«, »für uns« (1 Kor 8,6) deutlich. Christliche Theologie hat bis in die Gegenwart oft gelehrt, Jesus habe – anders als das Judentum – Gott »Vater« oder abba genannt.
Abba entspräche dem kindlichen »Papa«; es zeige Jesu besondere Nähe zu Gott. Der Gott, den Jesus abba nennt, sei ein Gott der Liebe, der des jüdischen Volkes sei ein Gott der Rache und der Gesetzlich­keit. Tatsächlich ist abba das normale aramäische Wort, mit dem ein Vater zur Zeit Jesu angeredet worden ist. Auch erwachsene Kinder haben es benutzt. Nicht nur Jesus hat diese Anrede auf Gott über­tragen. Jesus betet als Sohn Israels zum Gott seines Volkes. Auch in der christlichen Theologie ist die Erkenntnis gewachsen, »dass der Gott Jesu mit dem Gott Israels identisch ist. Die Vateranrede Jesu gehört in die Geschichte der jüdischen Gebetssprache« (Luise Schottroff ).

ZUM WEITERLESEN:

  • Gerber, Christine, »Gott Vater« und die abwesenden Väter. Zur Übersetzung von Metaphern am Beispiel der Familienmetaphorik, in: Christine Gerber/Benita Joswig/Silke Petersen(Hg.), Gott heißt nicht nur Vater. Zur Rede über Gott in den Übersetzungen >>Bibel in gerechter Sprache<<, Biblisch-theologische Standpunkte Band 32, Göttingen 2008, S.145-161.

Katrin Keita und Luise Metzler

 

Zu gerechter Sprache gehört unverzichtbar, eine negative Rolle von Frauen offen zu legen, wenn sie inhaltlich gemeint, aber in männli­cher Redeweise verborgen ist. Erstmals in einer deutschen Bibel­übersetzung ist von »einer Diebin« (Ex 22,1), »einer Totschlägerin« (Jos 21,38), »einer Betrügerin« (Jes 32,7) zu lesen. Nicht nur »Feinde«, sondern auch »Feindinnen« (Dtn 28,48; Mi 7,8; Ps 44,17; Lk 6,35, 2 Thess 2,15) werden gefürchtet. Nicht nur »der Bruder sündigt«, sondern es sind »Geschwister«, die »sich verfehlen« (Mt 18,21) oder »Sünderinnen und Sünder« (Gal 2,15+17). Oft wird der Plural genutzt, um beide Geschlech­ter zu nennen, z. B. »Gott, heb deine Hand! Vergiss die Gebeugten nicht. Warum verachten die Gewalttätigen Gott?« (Ps 10,12–13) oder: »die Betrügerischen, die Gewalttätigen, die Stolzen« (Hab 25) oder: »Wir erscheinen wie betrügerische und ehrliche Menschen« (2 Kor 6,8). Durch einen Wechsel zwischen männlicher und weiblicher Form wird deutlich, dass es um Frauen und Männer geht, z. B.: »Wenn dein Gegner hungert, gib ihm etwas zu essen. Wenn deine Feindin Durst leidet, gib ihr zu trinken« (Röm 12,20). Selbstverständlich gilt das auch für die griechischen und hebräischen Wörter diabolos/satan/satanas/daimonion, mit denen die Bibel Teuf­lisches bzw. Satanisches bezeichnet. In der Bibel in gerechter Sprache stehen neben Übersetzungen mit »Teufel«/»Satan«/»Dämon« auch weibliche Formen, z. B. »diabolische Macht« (Lk 8,12), »teuflische Macht« (Joh 13,2), »satanische Macht (Lk 10,18). In 2 Kor 4,4 wird auf den Teufel angespielt, was z. B. die Einheitsübersetzung mit »Gott dieser Weltzeit« wiedergibt. Die Bibel in gerechter Sprache durchbricht diese männliche Redeweise mit »Gottheit dieses Zeitalters«. In Jes 34,14 steht lilit. Luther (1984) übersetzt mit »Nachtgespenst«, die Einheitsübersetzung wählt: »Lilit, das Nachtgespenst«. Weil eine weibliche Dämonengestalt gemeint ist, steht in der Bibel in gerech­ter Sprache »die Dämonin Lilit«. Der Glossarartikel zu diabolos, satanas, daimonion (S. 2343–2345) erklärt ausführlich, mit welchen Bildern die Mächte des Bösen in der Bibel gezeichnet werden und welche theologischen Fragen dahinter stehen.

ZUM WEITERLESEN:

 Katrin Keita und Luise Metzler

Im Lauf der Übersetzungsgeschichte ist die Reihenfolge der bibli­schen Bücher mehrfach verändert worden. Schon die im Judentum entstandene griechische Übersetzung der Hebräischen Bibel, die Sep­tuaginta, setzte die prophetischen Bücher von der Mitte an den Schluss des Buches. Sie endete jetzt mit prophetischen Worten. Das aufkommende Christentum entschied sich für diese Reihenfolge. Es ging davon aus, dass die Propheten auf Jesus als den Messias hinwei­sen (Mk 1,2–3). Auch im Neuen Testament wurde die Abfolge der Bücher verändert. Martin Luther bewertete den Brief an die hebräischen Ge­meinden, den Jakobusbrief, den Judasbrief und die Johannesoffenba­rung als weniger wichtige Schriften. Seiner Ansicht nach hatten sie in der Kirchengeschichte einen geringeren Stellenwert. Zudem stände Jesus Christus in diesen drei Büchern weniger stark im Zentrum als in den anderen neutestamentlichen Schriften. Darum stellte er sie an das Ende seiner Bibelübersetzung von 1545. Diese Reihenfolge wurde auch in der Revision der Lutherbibel von 1984 beibehalten. Die Ge­schichte der Übersetzung der Bibel macht deutlich, dass die Reihen­folge der Bücher für die Auslegung der Texte von Bedeutung ist.

Die Bibel in gerechter Sprache besteht aus drei Teilen:

1. Altes Testament. Hebräische Bibel

2. Apokryphen. Deuterokanonische Schriften

3. Neues Testament

Die Anordnung der Bücher in der Hebräischen Bibel bzw. im Alten Testament in der Bibel in gerechter Sprache orientiert sich an der jüdischen Tradition. Sie nimmt die jüdische Dreiteilung der Bücher in Tora (Fünf Bücher Mose), Prophetische Bücher (hebräisch neviim) und Schriften (hebräisch ketuvim) auf. Anders als bei den Büchern der Tora und den prophetischen Büchern sind verschiedene Anordnungen der Schriften überliefert. Denn diese Bücher kamen erst später zu den bereits kanonisierten, d. h. festgelegten Teilen Tora und Prophe­tische Bücher hinzu. Hier entschied sich die Bibel in gerechter Sprache für die aktuelle jüdische Reihenfolge. Der alttestamentliche bzw. he­bräische Teil der Bibel in gerechter Sprache endet mit dem Zweiten Buch der Chronik des Volkes Israel und nicht, wie z. B. die revidierte Lutherbibel (1984), mit dem Buch Maleachi. Die Reihenfolge und der Umfang des Mittelteils, der Apokryphen oder deuterokanonischen Bücher (49), variieren in christlichen Bibelüber­setzungen stark. Reformierte und lutherische Bibelausgaben druck­ten sie seit dem 19. Jahrhundert meist nicht mehr ab. Für die Bibel in gerechter Sprache wurden diejenigen Bücher ausgewählt, die in der römisch-katholischen Kirche zur Bibel gehören und die auch in der lateinischen Übersetzung Vulgata (Ausgabe von 1592) zu finden sind ( 49). In römisch-katholischen Bibeln sind die deuterokanonischen Schriften in das Alte Testament eingeordnet. In der Bibel in gerechter Sprache stehen sie geschlossen zwischen der Hebräischen Bibel und dem Neuen Testament. Ihr Sonderstatus als Schriften, die im Juden­tum und im Protestantismus nicht als biblische Schriften anerkannt sind, wird auf diese Weise gekennzeichnet. Die Reihenfolge der Bücher des Neuen Testaments in der Bibel in gerechter Sprache entspricht der traditionellen Anordnung, wie sie in den wichtigsten Handschriften bezeugt wird und wie sie auch das griechische Neue Testament von Nestle-Aland (8) oder die Einheits­übersetzung vertreten.

ZUM WEITERLESEN:

  • Breitmaier, Isa,  Bezeichnung und Reihenfolge der biblischen Bücher, in: Isa Breitmaier/Luzia Sutter Rehmann (Hg.), Gerechtigkeit lernen. Lehren und lernen mit der Bibel in gerechter Sprachen Band 1, Gütersloh 2008, S. 83-89.
  • Butting, Klara, Mit der Bibel ins Gespräch kommen, in: Junge Kirche, 68. Jahrgang, 4/2007, S. 1-4.

Katrin Keita und Luise Metzler

Die Bibel in gerechter Sprache hat neben den Büchern der Hebräi­schen Bibel und des Neuen Testaments elf weitere Bücher aufge­nommen, die in griechischer Sprache von Glaubenserfahrungen des Volkes Israel handeln. Sie sind zwischen dem Alten und dem Neuen Testament eingeordnet. In der protestantischen Tradition werden diese Bücher Apokryphen genannt. Das bedeutet »verborgene Schrif­ten«. Es bezieht sich darauf, dass diese Bücher aus protestantischer, aber auch aus jüdischer Sicht nicht denselben Stellenwert haben wie die Schriften des Alten und Neuen Testaments. Luther schreibt 1545 im Vorwort zu den Apokryphen: »Das sind Bücher: so der heiligen Schrifft nicht gleich gehalten vnd doch nützlich vnd gut zu lesen sind.« Darum nahm er sie in seine Bibelübersetzung auf. Erst im
19. Jahrhundert wurden sie aus den lutherischen und reformierten Bibeln weitgehend entfernt. In der römisch-katholischen Kirche heißen diese Bücher deuteroka­nonische Schriften. Das bedeutet: »Schriften eines zweiten Kanons«. Es drückt aus, dass die dazu gehörigen Bücher als vollgültige Teile der christlichen Bibel gelten. Dennoch kennen römisch-katholische Leserinnen und Leser möglicherweise den Jeremiabrief nicht, weil er häufig als sechstes Kapitel des Baruchbuches überliefert wird. Insgesamt entspricht der Umfang der in der Bibel in gerechter Spra­che aufgenommenen apokryphen bzw. deuterokanonischen Schrif­ten dem Umfang der lateinischen Übersetzung Vulgata von 1592, die heute noch für die römisch-katholische Kirche maßgeblich ist. Die Bibel in gerechter Sprache versteht sich als eine Bibelüberset­zung, die im ökumenischen Kontext verwendet werden kann. Darum sind alle Schriften in ihr enthalten, die in der römisch-katholischen und der protestantischen Kirche zur Bibel gehören. Eine Besonderheit gibt es in Bezug auf die Bücher Daniel und Ester. Sie kommen in der Bibel in gerechter Sprache doppelt vor. Sie er­scheinen sowohl im Alten Testament, übersetzt aus dem Hebräischen bzw. Aramäischen, als auch in den Apokryphen bzw. deuterokano­nischen Schriften, übersetzt aus dem Griechischen. In der griechi­schen Übersetzung sind sie deutlich umfangreicher als im Hebräi­schen: Im griechischen Buch Ester sind z. B. Ester und ihrem Pflegevater Mordechai große Gebete in den Mund gelegt, die es im hebräischen Text nicht gibt. Mordechais Traum wird geschildert, Briefe des persischen Königs sind aufgenommen. Die griechische Fassung des Buches Daniel enthält zu Beginn die Erzählung über Susanna, dann das Gebet Asarjas, den Gesang der Männer im Feu­erofen sowie am Ende die Geschichte von »Bel und dem Drachen«. Luther hat diese Texte in den Apokryphen als Stück zum Buch Esther bzw. Stücke zum Buch Daniel eingefügt. Die Bibel in gerechter Spra­che geht einen anderen Weg. Sie nimmt wahr, dass die griechische Übersetzung die hebräischen Texte theologisch interpretiert, wei­tergeführt und um neue Texte ergänzt hat. Aus Respekt davor und aus Respekt vor katholischen Menschen, für die die Übersetzung aus dem griechischen Text geläufig ist, sind diese Bücher zweimal über­setzt.

ZUM WEITERLESEN:

  • Breitmaier, Isa, »Die ganze griechische Ester«: Ein Lehrstück in Sachen Textgerechtigkeit, in: Schlangenbrut 95/2006: Übersetzen, S.9-13.

Katrin Keita und Luise Metzler

In den verschiedenen Bibelübersetzungen erhielten die biblischen Bücher immer schon unterschiedliche Überschriften. Häufig wurden mit hebräischen Eigennamen betitelte Bücher an die griechische oder lateinische Sprache angepasst. Beispiele: Jechezkel wurde zu Hesekiel oder Ezechiel, aus Ijob wurde Hiob. Das Buch Kohelet (so nennt es die Einheitsübersetzung) heißt bei Luther Der Prediger Salomo und in der griechischen Übersetzung Septuaginta Ecclesiastes. Der heb­räische Name Kohelet bedeutet so viel wie »Sammler«. Luther hat sich mit der Bezeichnung Der Prediger Salomo an der Tradition orien­tiert, die das Buch dem König Salomo zuschreibt. Die griechische Übersetzung hat den hebräischen Namen auf eine Versammlung (griechisch ecclesia) von Menschen bezogen. Zwei Überlegungen waren bei der Benennung der Bücher in der Bibel in gerechter Sprache entscheidend: Zum einen sollten die Kriterien der gesamten Übersetzung – Textgerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit, Geschlechtergerechtigkeit, Gerechtigkeit gegenüber dem Judentum (15) – auch auf die Titel der einzelnen Bücher an­gewendet werden. Zum anderen sollten die bekannten, an die deut­sche Sprache angepassten Eigennamen der Bücher möglichst bei­behalten werden. In einigen Fällen sind zwei Namen eines Buches aufgeführt, z. B. Das Buch Kohelet (Prediger). Dadurch werden die un­terschiedlichen protestantischen und römisch-katholischen Traditi­onen sichtbar gemacht. Die ersten fünf Bücher der Bibel haben sogar drei Namen erhalten: Die für katholische Menschen vertraute grie­chische Bezeichnung (z. B. Genesis), der im protestantischen Bereich geläufi gere Name (z. B. 1 Mose) und die jüdische Benennung (z. B. Das erste Buch der Tora). Einigen Buchnamen wurde die Formulierung Über die Zeit beigefügt. So heißt es: Über die Zeit Samuels. Dieser Zu­satz betont, dass das Buch nicht nur von einer einzigen Hauptfi gur spricht, sondern dass es Erzählungen über eine bestimmte Epoche enthält, in denen das ganze Volk oder zumindest mehrere Menschen eine Rolle spielen. Der Buchname Über die Zeit der Königinnen und Könige macht sichtbar, dass in diesem Buch nicht allein von männ­lichen Herrschern die Rede ist (25). Die Benennung einiger Briefe im Neuen Testament weicht ebenfalls von den meisten anderen Übersetzungen ab. Indem die Bibel in gerechter Sprache z. B. den Namen Brief an die Gemeinde in Rom wählt, wird deutlich, dass hier die gesamte Gemeinde angesprochen ist, zu der Männer und Frauen gehören.

Katrin Keita und Luise Metzler

Zwischenüberschriften, wie sie in den meisten Bibelübersetzungen verwendet werden, sind in den hebräischen, aramäischen und grie­chischen Texten nicht zu fi nden (8). Sie gliedern den Text zwar übersichtlich, sind jedoch Interpretation, manchmal gegen den Text. Die Überschrift zu Gen 34: »Dina und Sichem« (Elberfelder Bibel) lässt eher an eine Liebesbeziehung denken, nicht aber an die Ver­gewaltigung eines jungen Mädchens, wie es der Text berichtet. »Der Sündenfall« als Überschrift zu Gen 3 (Luther 1984 und Elberfelder Übersetzung) hat eine schlimme Wirkungsgeschichte für Frauen. Dabei ist in der Paradieserzählung von Sünde nicht die Rede. Das Wort für »Sünde« (hebräisch chattat) steht in der Bibel erstmals in Gen 4,7, wo von dem Mord Kains an Abel erzählt wird. Mk 12,28–34 ist überschrieben mit: »Die Frage nach dem ersten Gebot« (Luther 1984/Elberfelder Bibel). Denkbar wäre auch die Überschrift: »Jesus und ein Toragelehrter sind sich in einer Grundsatzfrage einig.« Of­fenbar war es für die Herausgeber der Lutherbibel 1984 und der Elberfelder Bibel jedoch nicht so wichtig, dass Jesus hier die jüdische Theologie seiner Zeit bestätigt. Ähnliches wie für die Überschriften gilt auch für den Fettdruck einzel­ner Verse, der vielen Bibelleserinnen und Bibellesern aus der Luther­bibel vertraut ist. Er soll wichtige Verse hervorheben. Welche Verse wichtig sind, ist reine Interpretation. Hinter den fettgedruckten Worten steht eine ganze Theologie. Der Satz aus Joh 4,22: »Das Heil kommt von den Juden« ist nirgends fettgedruckt, ebenso wenig das Wort des Pau­lus: »Hat Gott sein Volk verstoßen? Das sei ferne« (Röm 11,1). Ähnliches gilt für das Wort Jesu, mit dem er das Handeln der Frau würdigt, die ihn gesalbt hat: »Wo das Evangelium gepredigt wird … da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat« (Mk 14,9). Es wird nirgends fett gedruckt, obwohl es den (fett gedruckten) Deute­worten Jesu beim Abendmahl wörtlich entspricht: »Das tut zu meinem Gedächtnis« (Lk 22,19; 1 Kor 11,24+25). Die Bibel in gerechter Sprache trägt keine Überschriften in die Texte ein. Zu entscheiden, welche Botschaft die Texte haben, überlässt sie den Lesenden. Um sich in den Büchern leichter orientieren zu kön­nen, sind Textabschnitte in der Bibel in gerechter Sprache – wie auch in den hebräischen, aramäischen und griechischen Vorlagen – in Absätze unterteilt. Ebenso unterscheidet die Bibel in gerechter Spra­che auch nicht zwischen wichtigen oder weniger wichtigen Texten. Welches Wort wann für wen wichtig ist, bleibt dem Ermessen jeder und jedes Einzelnen überlassen.

ZUM WEITERLESEN:

  • Hövelmann, Hartmut, Kernstellen der Lutherbibel. Eine Anleitung zum Schriftverständnis. Texte und Arbeiten zur Bibel 5, Bielefeld 1989.

Katrin Keita und Luise Metzler

 

Die wenigsten Bibelleserinnen und Bibelleser haben Althebräisch oder Altgriechisch gelernt. Sie sind deshalb auf Übersetzungen an­gewiesen. Gerade für sie ist die Bibel in gerechter Sprache gedacht. Das Glossar gibt ihnen die Möglichkeit, Übersetzungsentscheidun­gen in gewissem Umfang nachzuvollziehen. Wenn ein Wort oder eine Wortverbindung mit einem kleinen Kreis (°) markiert ist, dann steht neben der Zeile am inneren Rand der hebräische oder griechische Begriff in deutscher Umschrift. In einem 50-seitigen Glossar am Ende der Bibel werden die entsprechenden Begriffe erklärt und mögliche Übersetzungen genannt (
53). Außerdem ist es ratsam, einen Text in mehreren deutschen Bibel­übersetzungen zu lesen und zu vergleichen. Auf diese Weise werden mehrdeutige Begriffe oder umstrittene Formulierungen deutlicher. Diejenigen, die den Text noch gründlicher verstehen wollen, können damit gezielt nach Informationen zu den Textteilen suchen, in denen die verschiedenen Übersetzungen stark voneinander abweichen.

Katrin Keita und Luise Metzler

Das Glossar in der Bibel in gerechter Sprache will die Übersetzun­gen so transparent wie möglich machen (52). Insbesondere will es Menschen, die kein Hebräisch, Griechisch oder Aramäisch gelernt haben, die Chance geben, Übersetzungsentscheidungen nachzu­vollziehen. Ein kleiner Kreis (°) vor einem Wort oder einer Wortver­bindung im Text zeigt an, dass der übersetzte hebräische oder grie­chische Begriff in deutscher Umschrift im Innenbund des Buches steht. Alle Begriffe sind am Ende der Bibel in einem alphabetisch geordneten Glossar aufgelistet. Manchmal steht der Glossarartikel nicht unmittelbar bei dem entsprechenden Wort. Dann weist ein Pfeil () auf das Wort hin, unter dem der gesuchte Begriff erklärt wird. Die Glossarartikel enthalten neben möglichen deutschen Übersetzun­gen weitere Erläuterungen. Sie begründen, warum gleiche Wörter in unterschiedlichen Zusammenhängen verschieden übersetzt wer­den können. Und sie lassen erkennen, dass hinter mehreren deut­schen Begriffen das gleiche hebräische oder griechische Wort stehen kann, wie z.B. nefesch, das mit »Kehle«/»Atem«/»Leben«/»Seele«/ »Per son« wiedergegeben werden kann. Hebräische und griechische Begriffe, die zusammengehören, werden in einem Artikel erklärt. Dazu gehören berit und diatheke, die mit »Bund«/»Testament«/ »Verpflichtung«/»Zusage« übersetzt werden können. Auf diese Weise werden sowohl die engen Beziehungen zwischen dem Alten Testament bzw. der Hebräischen Bibel und dem Neuen Testament sichtbar als auch charakteristische Bedeutungsunterschiede. The­matisch miteinander verwandte Wörter erscheinen ebenfalls in ei­nem einzigen Artikel, wie z. B. dal (»schwach«/»elend«/»arm«) und ani (»geduckt«/»gedemütigt«/»elend«/»arm«). Übergreifende theologische Begriffe wie »Gerechtigkeit« sind in Deutsch zu finden. Als Unterpunkte werden die zu ihnen gehörenden hebräischen und griechischen Begriffe erläutert. Bei »Gerechtigkeit« sind es zedaka/zadak/zaddik (hebräisch) und dikaiosyne (griechisch). Menschen, die die Bibel lesen, können das Glossar nutzen, um gezielt nach bestimmten Begriffen zu suchen, die ihnen im Text aufgefallen sind und zu denen sie weitere Informationen benötigen. Sie haben auch die Möglichkeit, mit Hilfe des Glossars eine andere Übersetzung zu finden und auszuprobieren. Die Bibel in gerechter Sprache ver­steht das Glossar wie auch die Gesprächstexte (54) als zusätzliche Angebote, die das Verstehen der Texte fördern können, den Lesefluss aber nicht stören sollen.

Katrin Keita und Luise Metzler

Am äußeren Rand der Bibel in gerechter Sprache stehen Verweise auf andere biblische Texte, und zwar in kursiver oder in normaler Schrift.

a) Normale Schrift
Stellenangaben in normaler Schrift machen auf so genannte Gesprächstexte aufmerksam. Solche Texte können helfen, das Beschriebene besser zu verstehen oder biblisch einzuordnen. Es können auch Texte sein, die in Spannung zum Ausgangstext stehen oder ihm sogar widersprechen. Es gibt biblische Texte, die Gewalt verherrlichen, Menschen diskriminieren oder die durch Abgrenzung vom Judentum geprägt sind. Solche Texte werden schon von ande­ren Texten innerhalb der Bibel kritisiert. Dieses deckt die Bibel in gerechter Sprache auf, indem sie die Texte mit Hilfe der Bibelstellen-angaben am äußeren Rand zueinander in Beziehung setzt. So bringt sie die Texte miteinander ins Gespräch. Dazu als Beispiel 1 Tim 2,12: »Zu lehren aber – das hieße ja, über den Mann zu herrschen – erlaube ich einer Frau nicht, sondern sie soll sich still fügen«. Dem sind am äußeren Rand vier Gesprächstexte an die Seite gestellt, in denen Frauen sehr wohl Zeugnis von ihrem Glauben ablegen (Apg 2,17–18), sogar im Auftrag Jesu (Mt 28,10 , Mk 16,7, Joh 20,17–18).

b) Kursive Schrift
Kursiv geschriebene Angaben verweisen im Bereich des Alten Testa­ments auf Texte, die in der Bibel mehrfach überliefert sind, z. B. die so genannten »Zehn Gebote« in Ex 20 und Dtn 5. Im Neuen Testament werden Zitate aus der Hebräischen Bibel kursiv angegeben. So soll auf den ersten Blick zu sehen sein, in welch großem Maß das Neue Testament sich auf das Alte Testament bezieht. Wer solche Stellen nachschlägt, stellt möglicherweise fest, dass der Wortlaut nicht genau übereinstimmt. In Mk 9,48 heißt es beispielsweise: »… wo ihr nagender Wurm nicht stirbt und das Feuer nie erlischt«. Verwiesen wird auf Jes 66,24. Dort steht: »… denn die Maden in ihren Leichen werden nicht sterben und das Feuer, in dem sie verbrennen, wird nicht ver­löschen«. Solche Unterschiede sind dadurch begründet, dass die Autorinnen und Autoren der neutestamentlichen Bücher in der Regel aus der griechischen Übersetzung Septuaginta zitieren und nicht aus dem ursprünglichen hebräischen Text. Oder sie zitieren aus dem Gedächtnis. Drittens kann es daran liegen, dass die jeweiligen bibli­schen Bücher in der Bibel in gerechter Sprache von unterschiedlichen Personen übersetzt worden sind, die jeweils individuelle Überset­zungsentscheidungen getroffen haben (14).

 Katrin Keita und Luise Metzler

Die Bibel in gerechter Sprache hat sowohl positive als auch kritische Reaktionen erfahren. Darin teilt sie das Schicksal der meisten Bibel­übersetzungen – die von Luther eingeschlossen –, die oft sehr heftig angegriffen und geschmäht wurden. Schon die spätantike lateini­sche Übersetzung, die Vulgata, verursachte einen Skandal. Wegen ihrer Bibelübersetzungen ins Englische wurden William Tyndale 1536 und John Rogers 1555 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Der Über­setzer der Wertheimer Bibel (1735), Christian Wolff, wurde inhaftiert. Nach seiner Flucht aus dem Gefängnis war er gezwungen, unterzu­tauchen und in Anonymität zu leben. Die Übersetzung des Neuen Testaments des katholischen Theologen Leander van Eß erschien von 1807–1817. Dann wurde sie verboten. Auch das Erscheinen der Guten Nachricht Bibel 1968 verursachte wegen ihres Übersetzungs­stils große Aufregung. Kritisiert wurde, dass die Gute Nachricht oft die sprachliche Form des Originals preisgab, um den Sinn des Textes treff end wiederzugeben. Unter den kritischen Stimmen zur Bibel in gerechter Sprache gab es einige, die dem Projekt »Ketzerei« oder »Häresie« vorgeworfen ha­ben. Um diese Vorwürfe beurteilen zu können, ist es wichtig zu wis­sen, wie sich beide Begriffe historisch entwickelt haben und wer mit ihnen belegt worden ist. Das Wort »Ketzer« oder »Ketzerin« leitet sich ab von der Gruppe der Katharer und Katharerinnen, die im 12. Jahrhundert vor allem in Süd­frankreich und Norditalien verbreitet waren. Sie waren der Überzeu­gung, dass die materielle Welt böse ist und das Gute nur bei Gott im Himmel existiert. Das Alte Testament lehnten sie ab, weil in ihm die Schöpfung der bösen Welt beschrieben werde. Die römisch-katho­lische Kirche bekämpfte diese Glaubensabweichungen mit einem Kreuzzug und der Inquisition. Später wurde das Urteil »ketzerisch« dann auf andere Abweichungen von der offi  ziellen kirchlichen Lehre ausgeweitet. Das Wort »Häresie« stammt aus dem Griechischen und bedeutet ursprünglich »Wahl«/»Auswahl«. Sowohl in den verschiedenen christ­lichen Konfessionen als auch im Judentum wird mit »Häresie« eine Glaubensrichtung bezeichnet, die von der offiziellen Theologie ab­weicht oder die sie stark einseitig formuliert. Grundsätzlich kann eine bestimmte Lehre nur von ihren Gegnerinnen und Gegnern als häre­tisch verurteilt werden, nicht aber von einem objektiven Standpunkt aus. Häufig hat das, was zuerst als häretisch galt, später Eingang in die offizielle Theologie gefunden. Die reformatorische Theologie Martin Luthers beispielsweise wurde von der römisch-katholischen Kirche anfangs als Häresie angesehen und verfolgt. Angesichts ihrer blutigen Wirkungsgeschichte eignen sich die Be­griffe »Ketzerei« und »Häresie« nicht, um eine inhaltliche Auseinan­dersetzung mit der Bibel in gerechter Sprache zu führen. Diese Ver­urteilungen sind auch deshalb unangemessen, weil sie fordern, so zu übersetzen, dass die Übersetzung der kirchlichen Lehre entspricht. Das führt dazu, dass die kirchliche Lehre der Maßstab ist und nicht der Wortlaut der ursprünglichen Texte (10). Die Vorwürfe werden vom Herausgabekreis der Bibel in gerechter Sprache deshalb ent­schieden zurückgewiesen.

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Katrin Keita und Luise Metzler

 

Die Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kir­che Deutschlands (VELKD) und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) haben sich im Jahr 2007 zu der Frage geäußert, ob die Bibel in gerechter Sprache für den Einsatz im Gottesdienst geeignet ist. Kirchenrechtlich haben diese Dachorganisationen kein Recht, ihren Mitgliedskirchen den Gebrauch einer bestimmten Bi­belübersetzung im Gottesdienst zu untersagen. Das Gottesdienst-Recht (ius liturgicum) liegt im protestantischen Bereich entweder bei den jeweiligen Landeskirchen oder sogar bei den einzelnen Gemein­den. Dennoch spricht sich die VELKD gegen die Verwendung im Got­tesdienst aus. Die EKD empfiehlt den Gebrauch der Lutherüberset­zung in den Evangelischen Kirchen in Deutschland. Verschiedene Landeskirchen haben darauf reagiert, u. a. die Nordel­bische Evangelisch-Lutherische Kirche. Sie verwahrt sich in einer Stel­lungnahme ihres Theologischen Beirats gegen diese Voten der EKD und der VELKD. Wenn die Bibel in gerechter Sprache im Gottesdienst verwendet wird, eignet sie sich nach Auffassung des nordelbischen Gremiums besonders als Lesung des Predigttextes. Die Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen hält daran fest, dass nach der Kirchenordnung die Bibelübersetzung nach Martin Luther als Regel­übersetzung im Gottesdienst verwendet werden soll. Darüber hinaus können im Gottesdienst jedoch auch andere Übersetzungen benutzt werden. Dazu gehören die Bibel in gerechter Sprache genauso wie eigene Übersetzungen derer, die den Gottesdienst halten. Andere Landeskirchen wie die Evangelische Kirche von Hessen und Nassau und die Evangelische Kirche im Rheinland äußern sich ähnlich. Auf römisch-katholischer Seite hat die Österreichische Bischofskon­ferenz betont, dass die Bibel in gerechter Sprache nicht für die Litur­gie zugelassen sei. Ähnliche Beschlüsse der Deutschen oder der Schweizerischen Bischofskonferenz sind nicht bekannt. Offiziell wird in der deutschsprachigen römisch-katholischen Kirche nur die Ein­heitsübersetzung im Gottesdienst verwendet. In der Praxis werden jedoch in vielen Gottesdiensten seit langem verschiedene Bibelübersetzungen benutzt, z. B. die Zürcher Bibel oder die Gute Nachricht. Dementsprechend wird in allen deutsch­sprachigen Ländern im Gottesdienst auch aus der Bibel in gerechter Sprache gelesen. Ob sie oder eine andere der vielen deutschen Bi­belübersetzungen sich für einen Gottesdienst oder eine Andacht eignet, hängt von verschiedenen Dingen ab. Wie ist die Gemeinde geprägt? Wer nimmt am Gottesdienst teil? Was ist der Anlass des Gottesdienstes? So können die Verantwortlichen für einen Gottes­dienst zum Weltgebetstag der Frauen beispielsweise eine andere Übersetzung wählen als im Gottesdienst zu Heiligabend, bei einer Beerdigung oder im Krabbelgottesdienst.

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Katrin Keita und Luise Metzler