Da wird von der Lutherbibel geredet und ausgeblendet, dass die heutige Lutherbibel nicht die Bibel Martin Luthers ist (nähere Informationen zum Thema hier). Da wird mit einem bedauernden Achselzucken erklärt, manche Verse in der Bibel seien nun einmal antijudaistisch und es wird ausgeblendet, welche Entscheidungen jede Übersetzung in diesem Zusammenhang treffen muss. Mitherausgeber Prof. Dr. Martin Leutzsch trat dem in einer Veranstaltung des Deutschen Evangelischen Kirchentages entgegen und stellt eine ausführliche Fassung seiner Argumentation auf dieser Internetseite bereit. Den Umgang mit Antijudaismus im Neuen Testament nach der Shoah erläutert er anhand von Joh 8,44 und Röm 3,27-31. In dem Aufsatz, der als Beispiel von Joh 8,44 ausgeht und eine Fülle von Quellenangaben aufführt, nennt er die Fragen, die in dem Zusammenhang zu beantworten sind:
– Ist jede judenkritische Passage oder Perspektive einer neutestamentlichen Schrift von vornherein antijüdisch? Oder hängt dieses Urteil davon ab, ob die betreffende Schrift selbst jüdischer oder nichtjüdischer Herkunft ist?
– Wie verhält sich die zum Teil massive antijüdische Rezeption neutestamentlicher Stellen zu ihrer Intention und Funktion in der ursprünglichen Kommunikationssituation?
– Wie ist mit dem auf das Neuen Testament bezogenen Antijudaismus, sei es, dass er dort vorliegt, sei es, dass er dort hineingelesen wurde, umzugehen?
– Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die heutige Übersetzung des Neuen Testaments?
Vor allem mit der zuletzt genannten Frage beschäftigt Martin Leutzsch sich im hier bereit gestellten Beitrag und zwar exemplarisch anhand einer jener Stellen, die zu dem halben Dutzend Sätze im Neuen Testament gehören, die seit alters intensiv für antijüdische und später auch antisemitische Konstruktionen ›der Juden‹ als eines verabscheuungswürdigen Feindes gedient haben: Joh 8,44. Martin Leutzsch zeigt die Bandbreite der Handlungsalternativen innerhalb einer Übersetzung des Neuen Testaments auf. Er belegt, welche Übersetzungen bisher welchen Weg gegangen sind und weist auf einige der damit verbundenen Probleme hin. Abschließend verortet er u.a. die Übersetzungsentscheidungen der ›Bibel in gerechter Sprache‹ in diesem Tableau.
In einem zweiten Beitrag zum »Umgang mit Antijudaismus im Neuen Testament nach der Shoah: Am Beispiel von Röm 3,27-31« widmet sich Martin Leutzsch besonders der unterschiedlichen Übersetzung zentraler Begriffe (nomos, pistis und ethnä) in einer Vielzahl von Bibelübersetzungen. Er zeigt den Entscheidungsspielraum auf und beschreibt, dass in der ›Bibel in gerechter Sprache‹ in Röm 3,27-31 nomos durchgängig mit Tora, pistis durchgängig mit Vertrauen und ethnä mit Völker wiedergegeben ist.