Röm 3,27–31: »Glaube und Gesetz« oder »Vertrauen und Tora«?

Die griechischen Wörter pistis und nomos sind theologische Zentral­begriffe. Ihre Bedeutungsbreite wird im Glossar der Bibel in gerech­ter Sprache unter den Stichwörtern »Glaube/glauben« und »Gesetz« erläutert. Nomos kann »Gesetz« bedeuten, etwa das Gesetz Roms. Es kann auch »Tora« meinen, denn nomos steht oft für das hebräische Wort tora. Es bezeichnet keinesfalls nur Gesetze. Tora ist zunächst die Weisung, mit der eine Mutter ihr Kind ins Leben begleitet (Spr 1,8). Daraus entwickelte sich tora als Begriff für Gottes Weisung an das Volk Israel und an alle Menschen. Die Tora enthält mehr als nur Ge­setze und Rechtsgrundsätze. Auch Erzählungen, Berichte und Gebete sind dabei, alles, was zur jüdischen Glaubenspraxis gehört. Biblisch können mit tora die fünf Bücher Mose oder auch die gesamte Heb­räische Bibel bezeichnet werden.
Die Übersetzung von nomos bzw. tora mit »Gesetz« hat im Protes­tantismus einen negativen Klang. Denn dahinter steht die These, das jüdische »Gesetz« sei durch das christliche »Evangelium« überwun­den. Dem widerspricht die neuere theologische Forschung. Sie deckt auf, dass im Neuen Testament tora bzw. nomos positiv gesehen wird, soweit es sich auf Gottes Weisung bezieht. Tora ist Evangelium. Jesus entfaltet dies in der Bergpredigt und beharrt darauf, nichts von der Tora dürfe außer Kraft gesetzt werden (75). Für nomos im Sinne von »Gottes Weisung« gibt es kein deutsches Wort. Deshalb sollte es mit »Tora« übersetzt werden – im Vertrauen darauf, dass Menschen die­ses Wort ebenso zu verstehen lernen, wie sie z. B. das Fremdwort »Evangelium« verstehen. Pistis (hebräisch: emet bzw. aman) kann »Vertrauen«/»Treue«/»Glau­ben«/»Wahrheit«/»Zuverlässigkeit« bedeuten. Es meint eine Le­benspraxis, die der kommenden Welt Gottes schon hier und heute entspricht (43). Eine durchgängige Übersetzung mit »Glaube« greift deshalb zu kurz. In Hebr 11,1 wird pistis definiert: »Gottvertrauen (pistis) aber ist: Grundlage dessen, was Menschen hoffen, und Beweis von Dingen, die Menschen nicht sehen.« Unmittelbar danach wird die gesamte Schrift, beginnend mit der Schöpfung, als Leitfaden für pistis (»Gottvertrauen«) erinnert. In Röm 3,27–31 fragt Paulus nach dem Verhältnis von nomos und pistis. Er kommt zu dem Schluss, »dass Menschen auf Grund von Vertrauen gerecht gesprochen werden – ohne dass schon alles geschafft wurde, was die Tora fordert« (Vers 28). Doch sofort danach betont er die Gültigkeit der Tora für alle: »Heißt das, dass wir die Tora durch das Vertrauen außer Kraft setzen? Ganz gewiss nicht! Vielmehr bestätigen wir die Geltung der Tora« (Vers 31).

ZUM WEITERLESEN:
Crüsemann, Gott glaubt an uns
Leutzsch, Statement zu Antijudaismus