Röm 3,21 u. a.: Wie ist das »Jetzt!« zu verstehen?

»Jetzt!« steht, durch Ausrufungszeichen hervorgehoben, an vielen Stellen im Brief an die Gemeinde in Rom. »Jetzt!« ist quasi Eröff nungs­und Schlussakkord zugleich. Es beginnt in 3,21: »Jetzt! unabhängig von der Tora Gottes ist Gottes Gerechtigkeit sichtbar geworden, bezeugt von der Tora, den Prophetinnen und Propheten.« Der Brief endet in 16,26–27 mit:

26 Jetzt! ist sie ans Licht gebracht durch die prophetischen Schriften – wie Gott, Ursprung aller Zeit, es aufgetragen hat – und off enbar ge­worden, um die Antwort des Vertrauens in allen Völkern zu wirken: 27 Gott, einzig und weise, durch Jesus, den Messias, preisen wir dich, durch Zeiten und Welten. Amen.

Paulus setzt mit nyn bzw. nyni (»Jetzt!«) einen besonderen Akzent. Es geht nicht um den Wechsel vom Alten Testament zum Neuen Testa­ment, von jüdisch zu christlich oder gar von Gesetz zu Evangelium, wie oft behauptet wird. »Jetzt!« ist der besondere Zeitpunkt, grie­chisch kairos. »Jetzt« hat mit dem Messias Jesus die Welt Gottes an­gefangen. »Jetzt!« wird wieder einmal wahr, was die Tora verheißt und was gleichzeitig in der Geschichte Gottes mit Israel immer schon existierte: »Oder ist Gott allein Gott jüdischer Menschen? Und nicht auch Gott der Völker? Ja, gewiss: auch der Völker« (Röm 3,29). Was mit Jesus erneut anfing, ist nicht neu und überraschend, sondern wird erwartet und ersehnt. Schon Abraham wurde verheißen: »In dir sol­len sich segnen lassen alle Völker der Erde« (Gen 12,3). »Jetzt!« meint die Hoffnung, dass die Völker zum Zion kommen, um Gottes Weisung zu lernen. »Sie werden ihre Schwerter umschmieden zu Pflugscha­ren. … Kein Volk wird mehr gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr lernen. Alle werden unter ihrem Weinstock wohnen und unter ihrem Feigenbaum – und niemand wird sie aufschrecken« (Mi 4,3–4). »Jetzt!« ruft die Hoffnung aus, dass diese Wende zur weltweiten Gerechtigkeit schon begonnen hat. Durchgesetzt hat sie sich noch nicht, auch nicht durch Jesu Tod und Auferstehen. Paulus beklagt, dass die ganze Welt von Ungerechtig­keit und Gewalt durchzogen ist: »Niemand tut Gutes. … Niemand versteht, niemand fragt nach Gott. … Ihre Füße rennen eilig zum Blutvergießen. Zerstörung, Not und Elend auf ihren Wegen. Den Weg des Friedens kennen sie nicht. Gottesfurcht steht ihnen nicht vor Augen« (Röm 3,10–18 , noch ausführlicher in Röm 1,18–20). Gegen diese Analyse der sozialen und politischen Situation seiner Zeit stellt Pau­lus die Hoffnung des »Jetzt!« Ob diese Hoffnung Wirklichkeit wird, hängt auch von Menschen ab, die im Sinne dieses »Jetzt!« leben und handeln. Dazu ruft Paulus mit »Jetzt!« auf.

ZUM WEITERLESEN:
• Crüsemann, Freiheit vom Gesetz?
Crüsemann, Gott glaubt an uns