Ps 46: »Ein feste Burg« oder »Fluchtburg«? »Wehr und Waffen« oder: »Setzt den Kriegen ein Ende«?
Ist die Botschaft von Ps 46 tatsächlich: »Wehr und Waffen«, also ein Lob auf Kriege und Siege mit Gott als Kriegsherrn, wie es im Lied »Ein feste Burg ist unser Gott« anklingt? Die Übersetzerin in der Bibel in gerechter Sprache, Christl Maier, hat im Hebräischen anderes entdeckt. Zwar gibt es Texte wie Jos 10, in denen Gott Kriege führt. Ps 46 aber spricht anders:
10Gott setzt den Kriegen ein Ende, überall auf der Erde,
zerbricht den Bogen, zerschlägt den Speer,
verbrennt die Streitwagen im Feuer.
11Lasst ab vom Krieg und erkennt: Ich bin Gott,
ich bin erhaben unter den Völkern, erhaben über die Erde.
Das hebräische Verb schabat, das bei Luther zur Übersetzung führt: »Der den Kriegen steuert in aller Welt« (Vers 10), bedeutet in der grammatischen Form von Ps 46: »machen, dass etwas aufhört«/»etwas beenden«. In diesem Sinne übersetzt z. B. die Einheitsübersetzung. Von schabat kommt das Wort »Sabbat«. Es steht im Schöpfungsbericht (Gen 2,2–3) und im vierten Gebot (Ex 20,8–11; Dtn 5,12–15). Alle drei Texte berichten, dass Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen hat und am siebten Tag schabat (»aufhört« oder »ruht«). In Ps 46,11 wird mit anderen Worten noch einmal wiederholt, dass die Kriege aufhören sollen: Das erste Wort in Vers 11 lautet rapah. Es bedeutet »ablassen«/ »loslassen«/»verlassen« und bezieht sich eindeutig auf den vorherigen Vers. Um deutlich zu machen, worauf rapah sich bezieht, hat die Übersetzerin in der Bibel in gerechter Sprache »vom Krieg« hinzugesetzt. Rapah bedeutet nicht »still sein«, wie es in Luther (1984) zu lesen ist: »Seid stille und erkennt, dass ich Gott bin!« Die Gute Nachricht Bibel trifft dagegen den Sinn: »Macht Frieden!«. »Gott setzt den Kriegen ein Ende (schabat) überall auf der Erde« – das trauen die Betenden von Ps 46 Gott zu. Sie hoffen auf Gott und sind sicher, dass Gott nicht mit Wehr und Waffen kommt, sondern dass Gott alles Kriegsgerät vernichtet (Vers 10). Wie es sein wird, wenn Gott zu Hilfe kommt, malen sie in großen Bildern aus: »Die Wasser toben, sie schäumen, die Berge erbeben« (Vers 4). Gott wohnt dann in der Gottesstadt, in Jerusalem, so hoffen und beten sie. Wenn Gott da ist, wird Jerusalem zur »Fluchtburg« (Vers 8+12). Das Hebräische sagav meint »hoch«/»schwer zu erreichen«/»geschützt«. Mit »Fluchtburg« will die Übersetzerin der Bibel in gerechter Sprache den Schutz-Gedanken deutlich anklingen lassen. In Ps 46 steht sechsmal elohim, eine Gattungsbezeichnung, die mit »Gottheit« wiedergegeben werden kann ( 36). »Gottheit« ist im Deutschen grammatisch feminin. Dadurch kann eine Besonderheit des Hebräischen leicht nachgebildet werden. Denn in Vers 2 wird Gott mit der weiblichen Form ezra (»Helferin«) bezeichnet: »Die Gottheit ist uns Zuflucht und Macht, als Helferin in Nöten lässt sie sich finden« (Vers 2). So wird deutlich, dass die Bibel (auch) in Ps 46 von Gott Geschlechter umfassend spricht.
ZUM WEITERLESEN:
• Maier, »Ein feste Burg ist unser Gott …«