Mt 20,3 und 20,6: »Arbeitslose« oder »Müßiggänger«?
Das Gleichnis Mt 20,1–16 , erzählt, dass ein Grundbesitzer Tagelöhner zur Arbeit im Weinberg sucht. Vermittlungsort ist der Marktplatz. Dort warten Menschen auf Arbeit. Im Griechischen steht argos, das laut dem altgriechischen Wörterbuch Bauer-Aland in Mt 20,3+6 »Arbeitslose auf dem Markt« meint. Wie in der Elberfelder Bibel und in Luther (1545), so steht auch in Luther (1984): »Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da?«. Diese Übersetzung erweckt den Eindruck, die Männer seien faul und arbeitsscheu, und viele Predigten und theologische Fachbücher legen es in diesem Sinne aus. Es ist eine voreingenommene Übersetzung, die den Lebensbedingungen der Menschen damals wie heute nicht gerecht wird. Berichte aus neutestamentlicher Zeit erzählen von Verelendung, Not und großer Arbeitslosigkeit. Durch hohe Steuerlasten gerieten kleine Bauernhöfe in die Schuldenfalle. Unzählige Frauen und Männer verloren ihr Land und damit ihre Existenzgrundlage. Sofern sie nicht in Schuldsklaverei gerieten, waren sie gezwungen, ihr Auskommen u. a. im Tagelohn zu verdienen. Keine Arbeit zu finden, hieß zu hungern, denn Sozialversicherungen gab es damals nicht. Eine solche Situation erzählt das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg. Die Bibel in gerechter Sprache nimmt die Not der Menschen wahr: »Als er um die elfte Stunde hinkam, fand er andere dort stehen und sagt zu ihnen: ›Warum steht ihr hier den ganzen Tag arbeitslos?‹ Sie antworten ihm: ›Weil niemand uns eingestellt hat.‹«
ZUM WEITERLESEN:
• Schottroff, Die Gleichnisse Jesu, besonders S. 274–285