Joh 8,44: Meint »Ihr kommt vom Teufel als Vater her« generell jüdische Menschen?
In Joh 8,44 wirft Jesus einigen Jüdinnen und Juden, die an ihn glauben (33), vor: »Ihr kommt vom Teufel als Vater her«. Eine Hand voll Sätze im Neuen Testament haben eine fürchterliche antijüdische Wirkungsgeschichte. Die Worte »ihr kommt vom Teufel als Vater her« gehören dazu. Sie wurden benutzt, alle Juden zu jeder Zeit als Gottesmörder, Menschenfeinde und Teufelskinder zu brandmarken. Auch die Nationalsozialisten haben sich dieser Bibelstelle bedient, um die Ermordung jüdischer Menschen zu begründen. Der Altphilologe und Schriftsteller Walter Jens, der die vier Evangelien übersetzt hat, sagt dazu: »Von Anfang an war es fraglich für mich, ob so ein missverständlicher Text nach Auschwitz überhaupt noch verlässlich übersetzt werden kann. (…) Der Mann, der hier den Juden gegenübergestellt wird, hätte den gelben Stern tragen müssen und wäre in Auschwitz vergast worden.«
Um die Aussage von Joh 8,44 einordnen zu können, ist es wichtig zu wissen, dass das Johannesevangelium von Menschen aufgeschrieben worden ist, die sich der Lehre des Juden Jesus angeschlossen hatten und dadurch zu seiner Nachfolgegemeinschaft gehörten (33). Das Johannesevangelium entstand lange nach Jesu Tod. Die Menschen, die Jesus nachgefolgt sind, hatten erlebt, dass auch jüdische Stimmen Roms Plan unterstützt hatten, Jesus zu ermorden. Das Johannesevangelium erzählt es so, als habe Jesus zu Lebzeiten gewusst, wer dazugehörte. Solchen Menschen gilt Jesu Anklage. Er meint nicht pauschal das jüdische Volk, sondern verbindet es sofort mit deren konkretem Tun: »Ihr kommt vom Teufel als Vater her, und seinen Begierden wollt ihr entsprechen.« (Joh 8,44) Nicht Jüdischsein ist teuflisch, sondern Mordpläne zu hegen, ist vom Teufel.
Ähnlich klagt die jüdische Glaubensgemeinschaft von Qumran. Diese Gruppe hat etwa zur Zeit Jesu existiert. Sie vertrat eine radikale Glaubensrichtung und legte z. B. großen Wert auf rituelle Reinheit. Deshalb geriet sie in Konflikt mit den herrschenden religiösen Parteien, wurde aus Jerusalem verdrängt und weiter angefeindet und verfolgt. Auch die Menschen der Qumran-Bewegung nennen ihre Bedränger »Teufelskinder«. Sie meinen damit genauso wenig wie Jesus alle jüdischen Glaubensgeschwister, sondern nur die, die ihnen nachstellen. Die scharfe Polemik ist keine Wesensbestimmung jüdischer Menschen, sondern ein Schimpfwort, das ein bestimmtes Verhalten als »vom Teufel« disqualifiziert. In diesem Sinne gelten laut Mt 2541 solche als zum Teufel gehörend, die Nackte nicht kleiden, Hungernden nicht zu essen geben und sich weder um Kranke noch um Gefangene kümmern. Selbst Petrus kann Satan genannt werden, wenn er sich Gottes Willen, der Tora, in den Weg stellt: »Jesus drehte sich um und sagte zu Petrus: ›Geh’weg von mir, Satan. Du willst mich zur Untreue verleiten, denn du hast nicht Göttliches im Sinn, sondern Menschliches‹« (Mt 16,23).
Judith Hartenstein und Silke Petersen, die Übersetzerinnen des Johannesevangeliums, erklären in der Einleitung des Buches, dass Verse wie Joh 8,44 zu antijüdischer Polemik genutzt wurden, während andere Verse wie Joh 4,22 (»Die Erlösung kommt durch das Judentum«) kaum beachtet wurden. Die Bibel in gerechter Sprache verweist deshalb neben Joh 8,44 am äußeren Rand der Seite auf Joh 4,22 als Gesprächstext (54). Außerdem übersetzen Judith Hartenstein und Silke Petersen hoi iudaioi sehr differenziert und machen deutlich, dass Jesus im Johannesevangelium als Jude spricht und handelt (32+33).
ZUM WEITERLESEN:
• Jens, Die vier Evangelien
• Leutzsch, Statement zu Antijudaismus
• Wengst, Wahrheit, Fremdsein und Abrahamskindschaft