Joh 7,53–8,11: Wo steht der Text von der Frau, die als Ehebrecherin gesteinigt werden soll?

Nach Joh 7,53–81,1 rettet Jesus eine Frau, die als Ehebrecherin gestei­nigt werden soll. Sie wurde auf frischer Tat ergriffen und soll nach der Tora des Mose gesteinigt werden. Der Text setzt voraus, dass es zwei Augenzeugen gab, denn nur dann darf nach jüdischem Recht ein Urteil ergehen (Num 35,30; Dtn 17,6; 19,15). Gleichzeitig schwingt auf der Textebene mit, dass der Frau Unrecht geschieht. Wahr­scheinlich – so einige Bibelauslegungen – ist die Frau in eine vor­bereitete Falle geraten, wie es sie oft gab, wenn Frauen des Ehe­bruchs überführt werden sollten. Solche üblen Praktiken sind aus zeitgenössischen Quellen bekannt. Der Verdacht wird dadurch er­härtet, dass im Text nichts von einem Mann steht, der mit ihr die Ehe gebrochen hat. Nach Lev 20,10 hätte auch er getötet werden müssen. Das griechische Buch Daniel berichtet gleich zu Beginn von einer bösen Falle, in die drei Richter die mit Jojakim verheiratete Frau Su­sanna locken. Sie wollen sie vergewaltigen. Obwohl Susanna um Hilfe schreit, wird sie wegen der Aussagen der beiden Richter wegen Ehebruchs zum Tode verurteilt. Daniel entlarvt sie als Lügenzeugen und rettet Susanna. Joh 7,53–8,11 klingt wie eine Parallelerzählung, die von Rettung aus vergleichbarem Unrecht spricht. Auf Ehebruch steht laut Dtn 22,22–24 Steinigung des Mannes und der Frau. Es wird kollektiv ausgeführt. Den Menschen der Antike war bewusst, wie grausam eine solche Hinrichtung war. Jüdische Rechtstexte wie die Mischna erwägen, sie durch Erdrosseln zu er­setzen, weil es weniger qualvoll sei. »Jesus wehrt sich gegen die Steinigung mit Zivilcourage« (Schottroff, S. 269). Er lehnt damit nicht die Tora und damit die jüdische Tradition ab, wie oft ausgelegt wird. Er legt sie eigenständig aus: »Welche unter euch ohne Unrecht sind, mögen als Erste einen Stein auf sie werfen« (Joh 8,7). Seine Argumente überzeugen die pharisäischen und schriftgelehrten Leute, die am Prozess beteiligt sind. Sie wenden sich ab und gehen. Sie schließen sich also der Auslegung von Jesus an. »Im Sinne des Textes ergreift Jesus Partei für die erniedrigte und gequälte Frau. (…) Damit wird die ›patriarchale Ordnung‹ an einem wesentlichen Punkte, ihrer Gewalt über Frauensexualität, in Frage gestellt« (Schottroff, S. 270). Dieser Text von der Frau, die beschuldigt wird, Ehebruch zu bege­hen, fehlt in frühen Handschriften des Johannesevangeliums. Er hat eine wechselhafte Überlieferungsgeschichte. Die Kirche in den ersten Jahrhunderten nach Christi hatte Schwierigkeiten mit dem Text. Denn dass Jesus einer Ehebrecherin vergibt, stand im Kontrast zur kirchlichen Bußdisziplin. Nach Kirchenvater Augustin (354– 430 n. Chr.) könne der Text Männerangst schüren, weil er Frauen Straflosigkeit für ihr Sündigen verschaffe. Offensichtlich ist er erst später in einige Abschriften hinter Joh 752 aufgenommen worden. Es gibt andere Handschriften, die ihn hinter Joh 21,25, Lk 21,38 oder Lk 24,53 einsortieren. Nach Luise Schottroff ist der Text ein »glaub­würdiges Stück alter Jesustradition« (Schottroff, S. 263). Die Erzählung von der Rettung dieser Frau hat auch eine lange und teilweise problematische Wirkungsgeschichte. Dass der Hintergrund eine ordentliche Gerichtsverhandlung ist, wurde ignoriert. Stattdes­sen ließen sich viele Ausleger zu judenfeindlichen Auslegungen ver­leiten: Die Erzählung sei der Beweis dafür, es gäbe im Judentum Lynchjustiz, Jesus aber sei dagegen eingetreten. Hier zeige sich die unmenschliche Rachsucht des Judentums. Jesus urteile anders als das Judentum seiner Zeit. Wo dieses den Tod wolle, dort zeige Jesus der Frau den Weg ins Leben. Anders als der biblische Text es erzählt, stehen Jesus und das Judentum sich gemäß dieser antijüdischen Wertung als Gegensätze gegenüber. Luther (1984) gibt vor Joh 8 den Hinweis: »Der Bericht 7,53–8,11 ist in den ältesten Textzeugen des Johannes-Evangeliums nicht enthalten« und druckt den Text danach ab. Auch die Bibel in gerechter Sprache nimmt den Befund ernst, entscheidet sich aber anders. Sie lässt ihn in der Bibel, weist ihm aber einen Platz als Fußnote zu Joh 7,52 zu. Sie steht zusammen mit einer Erläuterung auf der gleichen und der fol­genden Seite (S. 1998–1999).

ZUM WEITERLESEN:
• Schottroff, Lydias ungeduldige Schwestern, besonders S. 263–270 (Ehebrecherin) und S. 286–288 (Die Ehebrecherin: Jesus stellt ›die Justiz‹ nicht in Frage)
• Schmidt, Zeuge/Zeugin
• Wengst, Nicht den Stab brechen