Gen 2,23–3,1: »Mehr drauf, aber weniger an«?
Zu übersetzen ist dann besonders schwer, wenn es um Wortspiele geht, die wiedergegeben werden müssen, weil sie für das Verstehen des Textes wichtig sind (13). In Gen 2 taucht dieses Problem zweimal auf. Vers 23 spielt mit dem Gleichklang von isch (»Mann«) und ischscha (»Frau«). Luther war dieses Wortspiel so wichtig, dass er sich nicht scheute, ein neues Wort zu erfinden. Er übersetzte: »Man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist.« Einige Bibelübersetzungen wie die Elberfelder oder Zunz schließen sich dem an. Andere entscheiden sich anders: »Frau soll sie heißen, denn vom Mann ist sie genommen« (Einheitsübersetzung). »Sie gehört zu mir, denn von mir ist sie genommen« (Gute Nachricht). Die Bibel in gerechter Sprache versucht, ganz nah beim Hebräischen zu bleiben, so nah, dass sie die hebräischen Worte mit erklingen lässt: »Die soll Isch scha, Frau, genannt werden, denn vom Isch, vom Mann, wurde die genommen« (Gen 2,23). Beim hebräischen Wortspiel in Gen 3,1, dem Wort über die Schlange, entwickelte Luther keine solche Kreativität. Dort steht arum, ein Wort mit der Bedeutung »klug«/»listig«. Es klingt fast wie arom, was »nackt« bedeutet und im Vers unmittelbar vorher verwendet wird: In Gen 2,25 wird vom ersten Menschenpaar gesagt, es sei nackt. Luther und die meisten anderen Bibelübersetzungen ignorieren das mitklingende »nackt« in Gen 3,1 und entscheiden sich für »listig«. Damit geht dem Text ein wichtiger Aspekt verloren. »Nackt sein« ist ein zentrales Motiv in der Paradieserzählung: Nachdem Adam und Eva die verbotene Frucht gegessen haben, erkennen sie sich als genauso nackt, aber auch als genauso klug wie die Schlange (3,7). Im anschließenden Dialog mit Gott bleibt Nacktheit ein wichtiges Thema (3,9–11). Nach der Vertreibung schützt Gott die Menschen vor Scham, denn Gott »macht selbst für den Menschen als Mann und für seine Frau Gewänder für die Haut und bekleidet sie« (3,21). Frank Crüsemann, der Übersetzer des Textes in der Bibel in gerechter Sprache, versucht dieses wichtige Wortspiel nachzubilden mit: »Die Schlange hatte weniger an, aber mehr drauf als alle anderen Tiere des Feldes« (Gen 3,1). Es ist eine gewagte Übersetzung, deren Stärke es ist, dass sie eine wichtige Tiefendimension des Textes off en legt. Es wäre möglich gewesen, noch einen Schritt weiter zu gehen und wie Luther mit »Männin« ein neues Wort zu erfinden. Denn das hebräische Wort für »Schlange« (nachasch) ist grammatisch maskulin. Schon Schriften der Täuferbewegung des Mittelalters zu Gen 3 nehmen das Hebräische beim Wort und sprechen von »der Schlang«. Auch der Alttestamentler Horst Seebass übersetzt 1996 in seinem Kommentar zur Genesis mit: »Der Schlang«. Die Bibel in gerechter Sprache folgt nicht diesem Weg, sondern verwendet das vertraute »die Schlange«.